Die Schule hat uns wieder. Und wie. „Jubel, Trubel, Schultüte: Erster Tag für Taferlklassler“ titelt orf.at seinen Beitrag zum diesjährigen Schulbeginn für 88.500 SchulstarterInnen und berichtet über die Versüßung des ersten Tages von so genannten „Ernst des Lebens“. Ein gleichnamiges Kinderbuch berichtet von einer jungen Dame, die ahnt, dass der Ernst des Lebens wohl nichts Schönes sein könne, wenn ihn die Eltern ihr so bedeutungsschwanger nahebringen wollen. Doch dann entpuppt er sich als Junge aus ihrer Klasse, der zu ihrem Freund wird. Auch so kann man das Schulsystem und seinen Unterricht verharmlosen.
Tatsächlich frage ich mich, wie denn ein System, das sich innerhalb der Jahrhunderte seines Bestehens nicht gewandelt hat, vielmehr die gleichen Ziele in anderer, schönerer Verpackung feilbietet, den Bildungsbedürfnissen der jungen Menschen der Gegenwart gerecht werden will. Schon Albert Einstein wusste, dass sich Probleme nicht auf derselben Bewusstseinsebene lösen lassen auf der sie entstanden sind. Doch die Schulverantwortlichen wollen das noch immer nicht begreifen und doktern an Strukturreformen und didaktisch-methodischen Veränderungen herum ohne das Bildungsgeschehen auf völlig neue, zeitgemäße Beine zu stellen. Und Eltern, LehrerInnen und SchülerInnen jammern zwar mal lauter und leiser, tragen aber nichts dazu bei, das System zum Kippen zu bringen, weil sie einfach mal besser, mal schlechter mitspielen. Wenn jemand einmal wirklich auf die Bildungs-, Lern- und Entwicklungsbedürfnisse der (jungen) Menschen achtete, dann käme mal ernsthaft Bewegung in die Sache. Und diese Bewegung wäre nicht nur metaphorisch gemeint. Wie kann es sein, dass nun wieder 10 Monate anbrechen, in denen – wenn es gut geht – maximal eine Turnstunde pro Tag stattfindet, die mitunter weniger der Bewegung, sondern vielmehr den Lehrplanerfordernissen wie Leichtathletik und Geräteturnen gewidmet ist? Auch hier zeigt sich symptomatisch die Erstarrung des Schulsystems und seines Unterrichts. Wenn man in der Lage ist, einem jungen Menschen ein Jahr lang die Möglichkeit zu geben, sich selbst zu bilden und bereit ist, jederzeit und den ganzen Tag über für Fragen, Bildungswünsche und Unterstützung zur Verfügung zu stehen, dann wird einem klar, wie Bildung wirklich funktioniert. Die so genannten Kulturtechniken wie Schreiben, Lesen und Rechnen werden dann implizit erworben, wenn man seinen Interessen und Bildungsbedürfnissen nachgehen kann. Das kann die Schule der Gegenwart natürlich nicht bieten, weil so viel Individualismus ist mit diesen Strukturen nicht zu bewältigen, Differenzierung hin oder her. Aber die Bildungs-Verantwortlichen können sich endlich mal ein Herz fassen und Menschen, die junge Menschen auf ihrem individuellen Bildungsweg begleiten wollen, entsprechend unterstützen. Die sind immerhin bereit, auf die öffentliche Förderung für einen Schulplatz in der Höhe von sechs- bis zwölftausend Euro pro Jahr zu verzichten und investieren sogar noch jede Menge Zeit und Geld aus ihrer eigenen Tasche – und das alles für das Wohl des Kindes! Diese Förderung sollte sich auch finanziell niederschlagen, indem beispielsweise Bildungsangebote, die privat in Anspruch genommen werden, finanziert werden. In der Endausbaustufe eines solchen neuen Bildungssystems könnten – bei entsprechender Qualitätskontrolle (die dafür heute vorgesehenen Externistenprüfungen müssten dazu aber auf ein anderes Niveau gebracht werden) – diese Bildungs-MentorInnen dann auch für ihre Begleitung entsprechend entlohnt werden. Immerhin stehen ja auch heute schon die o.a. Kosten, die sich das öffentliche Schulsystem dadurch erspart, zur Disposition! Und dazu müsste ja die Schule nicht abgeschafft werden, denn sie mag für die eine oder den anderen weiterhin das Bildungsmittel der Wahl sein. Worauf also noch warten? Eine neue Legislaturperiode steht bevor und mit ihr die nächste Chance auf den längst fälligen Bildungswandel.
2 Kommentare
Michael Langer
10/9/2017 20:59:26
Sehr geehrter Herr Karjalainen-Dräger,
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Michael Karjalainen-Dräger
13/9/2017 15:01:00
Es gibt eine Spannung zwischen dem "getakteten" Lernen und dem Freilernen, der sich symptomatisch an der Leistungsfeststellung festmacht. Staatlicherseits gibt es ein Interesse daran, dass Kinder nach bestimmten Maßstäben gebildet werden. Es gilt aus dieser Perspektive auch zu verhindern, dass KIndern die Welt vorenthalten wird und sie auf ihre primären Bezugspersonen beschränkt werden. Darüber lässt sich natüröich diskutieren, was ich jetzt nicht machen möchte. Ich versuche im Wissen um diese große Spannung Schritt für Schritt zu denken. Ein nächster logischer Schritt auf dem Weg in die Bildungsfreiheit wäre aus meiner Sicht die Ermöglichung einer Leistungsfeststellung, die sich am (jungen) Menschen orientiert. Es ginge dabei darum, das im Lauf eines Zeitraumes (Schuljahr) Gemachte präsentieren zu können und damit auch zeigen zu können was man drauf hat. Dies könnte durch Vorlage eines Portfolios erfolgen, das dann zum Gesprächsthema bei der "Prüfung" wird. Ich kann das jetzt in der Kürze nicht im Detail ausführen, ich hoffe aber, dass die Richtung klar ist. Einerseits könnte dadurch der Staat seiner Aufgabe auf Bildung und "Leistungsfähigkeit" von jungen Menschen zu achten nachkommen, andererseits könnten die "Geprüften" auf ihre Stärken zu sprechen kommen und Feedback erhalten. Auf diesem Weg wird auch das Vertrauen ins Freilernen wachsen, so dass diese momentan jährlich vorgesehenen Prüfungen auf einen längeren Zeitraum ausgedehnt werden und schließlich gänzlich der Vergangenheit angehören können. Es ist noch ein langer Weg in die wirkliche Bildungsfreiheit, in der Schulen gerne auch ihren Platz haben dürfen, so sie denn jemande braucht. Aber erste Schritte sind meines Erachtens nicht nur längst notwendig, sondern mit gutem Willen auch schon möglich.
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Michael Karjalainen-Dräger
diplomierter Pädagoge und Bachelor of Education war 10 Jahre im öffentlichen Schulwesen in Wien als Lehrer tätig, danach 3 Jahre lang Leiter einer von ihm gegründeten "freien" Schule in Niederösterreich. Seit 2013 trainiert er Menschen, die jungen Menschen freie Bildungs-Räume öffnen wollen. Kategorien
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