Vor wenigen Tagen hat eine Facebook-Freundin einen Ausschnitt aus einer Sendung auf ZDF-Kultur (https://m.youtube.com/watch?v=QBXaEyAWHl4) gepostet, in dem der kürzlich verstorbene Roger Willemsen zu den Ergebnissen des Demokratie!-Kongresses im Berliner Haus der Kulturen im Jahr 2011 Stellung nimmt. Darin fordert er die verstärkte öffentliche Etablierung einer Gegenöffentlichkeit abseits der institutionalisierten Politik und die Zuerkennung von Kompetenz an jedes Individuum, wenn es um dessen eigene Anliegen geht.
Seine Gedanken möchte ich an dieser Stelle zum Thema Bildung ohne Schule weiterführen. Da nimmt also ein Mensch wahr, dass er nicht mehr zur Schule gehen will, er sagt "Nein" zur Institution und ihren "Segnungen" und verweigert damit die ihm auferlegte Schul- bzw. Unterrichtspflicht. Die Gesellschaft und im schlimmsten Fall auch seine Eltern, die laut Gesetz für ihn bis zur Volljährigkeit entscheidungsberechtigt sind, halten ihn bezüglich solch eines weitläufigen Entschlusses für inkompetent. Und schon nimmt das Leben einen Lauf, der gegen die Intentionen dieses jungen Menschen gerichtet ist und ihn mit aller Konsequenz der Zwangsbeschulung unterwirft. Wären wir aber in der Lage jedem Menschen die Kompetenz für sein eigenes Leben zuzubilligen, dann wäre eine solche Vorgangsweise ein Fauxpas sondergleichen, der die gesellschaftliche Ächtung zur Folge hätte. Soweit aber sind wir noch lange nicht. Die von uns allseits hochgeschätzte Demokratie hat dort einen ihrer wesentlichen Haken. Das führt dazu, dass sie als die beste aller Regierungsformen zunehmend ausgedient hat. Wenn Menschen eines ihrer Grundrechte beraubt werden, dann ist das ja auch wirklich alles andere als demokratisch. Ich möchte hier nicht über Alternativen wie etwa konsensuale bzw. direktere Weiterentwicklungen reden, was sich an anderer Stelle durchaus lohnen würde. Ich möchte diesen Schwachpunkt in unserem Demokratieverständnis mit aller Klarheit aufzeigen und fordern, dass wir alle Menschen, auch die jungen als für ihr Leben und ihre Bedürfnisse kompetent erklären. Daher hat auch jeder Mensch das Recht, sich für dieses, sein Verlangen einzusetzen und es auch im Rahmen eines demokratischen Prozessen einzubringen und durchzusetzen. Und hier kommt die zweite von Willemsen angesprochene Komponente der außerparlamentarischen Gegenöffentlichkeit ins Spiel. Im Bildungsbereich gibt es eine wachsende Gruppe von Menschen, die für sich und/oder die jungen Menschen, die sie im Leben begleiten, alternative und individuelle Bildungswege außerhalb von Schule als richtig erachten. Sie gelten trotz ihrer steigenden Zahl als Einzelfälle - und da wie zuvor ausgeführt zumindest solchen Einzelfällen die Kompetenz für ihre Anliegen abgesprochen wird, bleibt ihr unerhörtes Anliegen unerhört. Wenn sie nun in der Lage wären sich zivilgesellschaftlich zu organisieren, wie es ja andere für ihre Anliegen auch tun (ich nenne besipielsweise Occupy, Stuttgart 21 oder die Grundeinkommens-Bewegung), dann bildeten sie eine solche Gegenöffentlichkeit. Nun müsste dieser Gegenöffentlichkeit auch Raum in der öffentlichen Wahrnehmung gegeben werden. Mit der auf dieser Webpage begründeten Vernetzungsplattform "Nie-mehr-Schule", der gleichnamigen monatlichen Radiosendung und dem im Vorjahr ins Leben gerufenen jährlichen Aktionstag ist zumindest eine Basis geschaffen. Aus eigener Erfahrung aber weiß ich, dass dies noch lange nicht genügt, um die breite Öffentlichkeit zu erreichen. Zu sehr sind die gewichtigen Medien dieser Gesellschaft dem Mainstream verpflichtet und berichten im Gleichklang lieber aus kaum unterscheidbaren Perspektiven über ein und dasselbe Ereignis, das meist weniger mit unserer Lebenswirklichkeit zu tun hat, als man uns weis machen will. Aus diesem Grund verzetteln wir uns im Großen ohne im Kleinen etwas bewirken zu können. Daher plädiere ich an dieser Stelle für die gesellschaftlich zu schaffende Möglichkeit, dieser Gegenöffentlichkeit in allen Medien den ihr zustehenden Raum zu geben, so dass deren Anliegen der gesamten Öffentlichkeit bekannt werden. Wenn wirklich allen auf diese Weise die ihnen zustehenden Rechte ermöglicht werden, nicht auf Kosten anderer sondern zum gemeinschaftlichen Nutzen aller, dann wäre das eine zukunftsweisende Weiterentwicklung unseres demokratischen Systems, in dem auch sogenannte Minderheiten die Chance auf ihre Lebensart haben.
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Michael Karjalainen-Dräger
diplomierter Pädagoge und Bachelor of Education war 10 Jahre im öffentlichen Schulwesen in Wien als Lehrer tätig, danach 3 Jahre lang Leiter einer von ihm gegründeten "freien" Schule in Niederösterreich. Seit 2013 trainiert er Menschen, die jungen Menschen freie Bildungs-Räume öffnen wollen. Kategorien
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March 2020
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