Es ist erst 50 Jahre her, dass der Baptistenprediger Martin Luther King, der durch den improvisierten Teil seiner Rede am 28.8.1963 in Washington mit den mehrmals wiederholten Worten „I have a dream“ in die Geschichtsbücher eingegangen ist, ermordet wurde.
Es ist schon 50 Jahre her, dass Martin Luther King am 4.4.1968 in Memphis unter bis heute nicht restlos geklärten Umständen erschossen wurde, und dennoch ist seine Vision großteils Utopie geblieben, nicht bloß in den USA. Nach seinem gewaltsamen Tod bekamen vor allem die radikalen Kräfte in seiner Bürgerrechtsbewegung zur Gleichstellung aller Menschen Auftrieb, es gab zahlreiche Unruhen mit Dutzenden Toten. Dabei waren Kings Bemühungen eines gewaltlosen Widerstands durchaus erfolgreich gewesen, aber gut Ding braucht eben Weile – und die gestehen viele der Sache eben nicht zu. Wenn ich mir die Welt von heute anschaue, dann ist sie nach wie vor geprägt von Vorurteilen und Stereotypen. Das, was per se nicht übel ist, wird es dann, wenn jemand nicht in der Lage ist, seine erste Sichtweise zu revidieren. Diese sture Haltung tritt aus meiner Erfahrung bei jenen besonders stark auf, die sich ihrer selbst nicht sicher sind. „Wer nicht weiß, wie er heißt, wer nicht weiß, wer er ist, der ist dumm. Bumm.“, ruft der Frosch dem Ich-bin-Ich entgegen, das zu diesem Zeitpunkt noch ein buntes Tier, ein Irgendwer ist. Mit seiner kindlichen Neugier allerdings macht es sich auf die Suche nach der eigenen Identität, findet immer etwas und jemanden, das bzw. der ihm ähnlich ist. Einem Gleichen aber begegnet es nicht, Doch wie gehen dem unbekannten Wesen am Ende die Augen auf, als es sich im Spiegel einer Seifenblase erstmals wirklich erkennt. So selbstbewusst begegnet es am Ende abermals dem Frosch, der nun nicht anders kann als zu rufen: „Wer nicht weiß, wer du bist, wer nicht weiß, wie du heißt, der ist dumm. Bumm.“ Für mich ist es daher die erste Aufgabe aller, die junge Menschen im Leben begleiten, diesen die Möglichkeit des Sich-Selbst-Erkennens zu geben. Dann wird aus der Fülle der Vielfalt niemals eine Bedrohung werden, sondern immer eine Bereicherung. Das Schulsystem unserer Tage ignoriert diesen Umstand völlig. Geht ja auch nicht anders, denn unter den Bedingungen die Normierung und Anpassung fordern, lässt sich Individuelles nicht leben. Und dort wo bis zu 30 Gleichaltrige auf engstem Raum nach einem strengen Stundenplan, der einem noch strengeren Curriculum geschuldet ist, ihre Tage fristen, wird wohl so etwas wie Zugehörigkeit und Gemeinschaftsgefühl eher selten aufkommen, auch nicht unter „Gleichen“. Daher gilt es, dass alle Beteiligten – aus meiner Sicht sind das SchülerInnen, Eltern, LehrerInnen, die zuständigen BeamtInnen und die PolitikerInnen – Wege aus dem System herausfinden, um wahre Bildung möglich zu machen. Und es gilt denen, die schon individuelle Wege gehen, endlich die Berechtigung zu geben, sich auf legale Weise selbst zu bilden. Und damit da kein Missverständnis aufkommt: Sich-selbst-Bilden meint nicht, einen jungen Menschen alleine zu lassen, sondern ihm all das zur Verfügung zu stellen, was er/sie braucht, um seinen/ihren Bildungsimpulsen nachgehen zu können, um Antworten auf seine/ihre Fragen zu finden. Wir leben glücklicherweise in einer Gesellschaft, in der niemand zur Schule gehen muss, weil er/sie sonst von Kinderarbeit, Ausbeutung oder Armut bedroht ist. Wir sollten es uns endlich leisten, den Weg frei zu machen, für ein wirkliches Recht auf Bildung, das jeder und jedem ermöglicht, den eigenen Bildungsweg frei zu wählen – in der Schule oder auf eine andere, individuelle Weise. Auch davon würde das Schulsystem letztlich profitieren. So bleibt für mich – 55 Jahre nach Kings großer Rede – sein „I have a dream“ auch für die Bildung junger Menschen höchst stimmig und relevant.
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Am vergangenen Samstag konnte ich in Begleitung von Sigrid Haubenberger-Lamprecht von der Initiative Freilernen die drei von mir beim Kapitalismustribunal eingebrachten Klagen verlesen.
Ergänzt habe ich den Zusammenhang zwischen dem herrschenden Wirtschaftssystem und der Institution Schule, der dazu führt, dass Bildung durch Ausbildung ersetzt wird – und somit dem Zweck unterworfen wird, funktionstüchtige und funktionierende „Rädchen“ für den Kapitalismus zu schaffen. Dies zeigt auch die in Österreich demnächst auf 14 Jahre verlängerte Schul- bzw. Ausbildungspflicht, die dann mit 4 Jahren bereits im Kindergarten beginnt und erst mit dem Eintritt ins Erwachsenenalter, also mit 18 Jahren, endet. Deutlich macht diese Sichtweise auch ein Video der Arbeitkammer, auf das Sigrid Haubenberger zur Unterfütterung der Anklagen und ihrer Berechtigung, sie beim Kapitalismustribunal einzubringen, verwiesen hat. Im Hintergrund wurden wir auch von Bertrand Stern unterstützt, der sich jederzeit zu einer weiteren Zeugenaussage bereit erklärt hat. Von Seiten des Anklagevertreters, Hendrik Sodenkamp, wurde dann auch der leicht ersichtliche Zusammenhang von Industrialisierung und Schulpflicht deutlich gemacht. Die Pflichtverteidigung der von uns angeklagten Bundesregierung der Republik Österreich, der Bundesministerin für Bildung und Frauen, der Abgeordneten zum Nationalrat, die diese Gesetze beschlossen haben und der zuständigen Schulbehörden, würdigte die Anklagen ausdrücklich, da sie jedenfalls Ausdruck einer Ungleichstellung seien. Der Zusammenhang mit dem kapitalistischen Wirtschaftssystem solle jedoch noch deutlicher herausgearbeitet und bezeugt werden. Somit wurden alle drei Klagen zur weiteren Verfolgung zugelassen, was bedeutet, dass im November-Tribunal in Wien der Prozess fortgesetzt wird, um ein Urteil in dieser Angelegenheit zu fällen. Daher lade ich alle ein, sich für die diesbezügliche Beweisaufnahme als ZeugInnen zur Verfügung zu stellen. Das Thema bzw. die von uns eingebrachten Themen haben jedenfalls dadurch jetzt schon eine noch breitere Öffentlichkeit erreicht. Das neue Jahr beginnt bildungsmäßig genauso wie das alte aufgehört hat - mit einem unsäglichen Aus-Bildungs-Blödsinn, der meiner Empfindung nach nicht einmal gut gemeint, jedenfalls aber gar nicht gut gemacht ist.
Die derzeit in Begutachtung befindliche Gesetzesvorlage zur sogenannten "Ausbildungspflicht" beinhaltet - wie der Name schon verheißt - eine Verpflichtung zur Ausbildung. Betroffen von diesen Forderungen der Österreichischen Bundesregierung sind alle jungen Menschen bis 18 Jahre. Damit wurde innerhalb weniger Monate die Zwangs-Aus-Bildung um 4 Jahre ausgeweitet, die nun alle Menschen vom 4. Lebensjahr an bis zur Volljährigkeit berührt. Ziel dieser Maßnahmen ist es, wenn man den Aussagen von Sozialminister Rudolf Hundstorfer folgt, dass "die frühzeitigen Bildungsabbrecher eine Chance bekommen, ein selbstbestimmtes Leben und eine kontinuierliche Erwerbslaufbahn zu erlangen," es sei dafür "unbedingt erforderlich, eine über die Pflichtschule hinausgehende Ausbildung zu absolvieren." In dieser Schlussfolgerung liegen einige Fehler, außerdem geht sie von falschen Voraussetzungen aus. Nur weil sie auf den ersten Blick logisch klingt, womit man leicht in die dadurch gestellte Falle tappt, ist sie nicht auch wirklich erfolgversprechend. Was jedenfalls erfolgen wird, ist eine Verschiebung der Problematik von der Jugend ins Erwachsenenleben. Denn die Orte, an denen die Ausbildung nach der Pflichtschule erfolgen soll, gibt es ja jetzt auch schon. Ob Lehre oder Produktionsschule oder AMS-Betreuung - mit altbekannten Mitteln wird unter einem neuen Namen eine Lösung des Problems gesucht, wo sie schon in der Vergangenheit nie gefunden wurde. Das einzige, was neu ist, ist die verstärkte "Einbindung" der Eltern in Form von Strafandrohungen wie bei einer Schulpflichtverletzung. Aber bitte wann hat eine Strafandrohung schon mal das Grundproblem gelöst? Nicht einmal die Todesstrafe hat jene Wirkung erzielt, die ihr ihre Erfinder gerne zudenken, sie ist ein völlig untaugliches Mittel zur Verbrechensbekämpfung. Ein wesentlich mutigerer und sinnvollerer Schritt wäre die Einführung eines Rechts auf lebenslange Bildung gewesen - von mir aus auch in einem ersten Schritt für jene jungen Menschen bis 18 Jahre gewesen. Es wäre ebenso mutig und sinnvoll gewesen, Orte zu schaffen, an denen selbstbestimmtes, nachfrageorientiertes Frei-sich-Bilden möglich ist und Menschen zu bezahlen, die als BildungswegberaterInnen und MentorInnen ganz nah an den Individuellen Bedürfnissen der Bildungshungrigen dran sind. Diese wären auch Garanten dafür, dass (junge) Menschen, die der Bildung aus ihrer Lebensgeschichte heraus eher fern stehen, einen Zugang zu sich selbst und ihren Bildungswünschen bekommen. Zudem wäre die Chance, dass da jemand seinen Beruf findet, mit dem er auch sein Leben erhalten kann wesentlich größer als bei der "Produktion" von Arbeitskräften, die nach dem Ende ihrer Ausbildung keiner mehr braucht. Der Arbeitsmarkt wird im nächsten Jahrzehnt einen großen Umbruch erleben, der den Schock der Industrialiserung weit in den Schatten stellen wird. Damit werden mehr Menschen denn je ohne Erwerbsarbeit und daraus abgeleitetes Einkommen sein und hilf- und sinnlos durch das Leben torkeln. Die Folgen dieser Entwicklung sind absehbar, dennoch werden sie weiterhin ignoriert. Die Regierung hat sich also mit dieser Maßnahme neuerlich in eine Bildungs-Sackgasse begeben, die Opposition hat dem leider keine brauchbare Alternative entgegenzusetzen. So ist auch im Bildungsbereich die Zivilgesellschaft gefordert, nachhaltige Varianten in die Welt zu setzen und sich für eine Finanzierung derselben durch die öffentliche Hand einzusetzen. Es braucht mittelfristig aber auch Verbündete unter den Abgeordneten zum Nationalrat, so dass diese bei entsprechenden Gesetzesvorlagen nicht mitstimmen oder noch besser andere Gesetzesvorlagen im oben besprochenen Sinn erstellen. Und es braucht eine Portion von zivilem Ungehorsam, sich dem Diktat der Aus-Bildungs-Verpflichtungen seitens der Gesetzgeber zu widersetzen und diese Alternativen nicht nur zu entwickeln sondern auch zu leben. Eine wachsende Gemeinschaft von "Frei-sich-Bildenden" zeigt wie das geht. Denn - wie schon früher ausgeführt - ein "Nein" des Betroffenen zu einer Ausbildungsverpflichtung im Kindergarten, in der Schule oder eben jetzt auch danach ist ein Menschenrecht. Dieses steht auch jungen, per lege minderjährigen Menschen zu. Darauf wird man sich besinnen müssen, wenn die Leidtragenden sich nicht mehr zwingen lassen und sich auf die Kinder- bzw. Menschenrechte berufen und diese auch - wenn nicht anders möglich - auf dem Rechtsweg geltend machen. Erwin Wagenhofer hat es in diesem Sommer mehrmals mehr oder weniger dirket gesagt, in der ZIB etwa aber auch im großen Interview in der August-Sendung von Nie mehr Schule auf Radio Orange: Die Bildungseliten haben bei allen großen Fragen und Herausforderungen kläglich versagt.
Wer oder was ist denn nun die so genannte „Bildungselite“? Es handelt sich per definitionem um einen Sammelbegriff für eine Gruppe in der Gesellschaft, die über viel anerkannte Bildung verfügt. In dieser Begriffsklärung steckt auch schon die Antwort auf die für viele verwunderliche Feststellung Wagenhofers. Von anerkannter Bildung ist da die Rede. Welche Bildung ist in unserer Gesellschaft anerkannt? Schulbildung und universitäre Bildung wurden zur Basis für jegliches Fortkommen auf diesem Planeten gemacht. Die Ergebnisse sind bekannt. Ich möchte hier einige wesentliche herausgreifen:
Die auf diese Weise verschulten „Bildungsgeliten“ finden keine anderen Lösungen für die großen Herausforderungen der Gegenwart als
Es wird höchste Zeit, dass wir uns das nicht länger gefallen lassen:
Die wahrhaft Gebildeten können locker auf den Status als „Bildungselite“ verzichten. Vertrauen wir also nicht länger denen, die als Bildungseliten gelten, nur weil sie ihre Schulkarriere mehr oder weniger erfolgreich abgeschlossen haben oder im richtigen „Haus“ geboren wurden. Verabschieden wir uns vom „Der Papa (Staat, Papst, …) wird’s schon richten“-Prinzip und gewinnen wir unsere Freiheit zurück, in dem wir als frei-uns-bildende Menschen unserem Verstand und unserem Herzen folgen und die Welt aus diesen alten Angeln heben und auf neue gesunde Füße stellen – und zwar im Kleinen und damit im Großen! Es ist wirklich höchste Zeit, dass wir dem allgemeinen Leiden an der Institution Schule und ihrem erfolglosen aber nicht folgenlosen Unterrichten ein Ende bereiten.
In einem Beitrag mit dem Titel "Gerhard Riegler: SchulabbrecherInnen" auf QUINtessenzen, dem Blog von Ekkehard Quin, Vorsitzender der AHS-Lehrergewerkschaft, verweist der Autor auf Studien in England, Australien, den USA und der Schweiz. Aus diesen ginge hervor, dass in etwa die Hälfte aller Lehrenden der pädgaogischen Profession den Rücken kehren wollen. Es wird die Frage gestellt, ob "Österreichs 'BildungsexpertInnen' " glauben, "dass die LehrerInnen hierzulande mit unbegrenzter Geduld und Leidensfähigkeit ausgestattet sind?" Als Lösung wird vorgeschlagen, "endlich denen Gehör und Aufmerksamkeit" zu "schenken, die als PädagogInnen für ihre SchülerInnen beruflich ihr Bestes geben, an den Rahmenbedingungen aber immer öfter verzweifeln." Schließlich wird von "Österreichs Politik ... Professionalität statt Arroganz" gefordert, "damit nicht auch unter Österreichs LehrerInnen der Anteil derer explodiert, die ihre Profession an den Nagel hängen, um vorzeitig aus dem Schulwesen zu scheiden." Ich bin der festen Überzeugung, dass auch den LehrerInnen geholfen werden kann, wenn auch nicht auf die in Quin's Blog geforderte Weise. Die Institution Schule wird auch am 17.11.2015 - nach der derzeit noch für diesen Tag groß angekündigten nächsten Reform des Bildungswesens - nicht in seinen Grundfesten erschüttert und damit nachhaltig gewandelt werden. Es wird vielmehr durch diesen nächsten von gefühlten tausenden kleineren oder größeren Versuchen in seiner Grundstruktur weiter gestärkt werden. Und das ist schade, weil es allen Beteiligten schadet, auch den PolitikerInnen, die diese Veränderungen anleiern. Zurück zu meinem Vorschlag, der auch die LehrerInnen entlasten wird. so dass sie sich auf ihre eigentlichen Aufgaben konzentrieren können: Schaffen wir die Schule als Institution endlich ab! Geben wir den (jungen) Menschen in diesem Land das Recht frei sich zu bilden. Schaffen wir Bildungs-Räume, in denen die Fragen der Wissbegierigen und Bildungshungrigen von den Wissenden UND Erfahrenen sofort beantwortet werden und auf diese Weise eine wahrhaft gebildete Gesellschaft entsteht. Die "LehrerInnen" der Zukunft sind dann entweder BildungsWeg-BegeleiterInnen, MentorInnen oder reihen sich bei denen ein, die nicht nur aus Büchern und Schule sondern aus Erfahrung "wissen" und dieses Know-How auch authentisch und überzeugend weitergeben können. Um es mit Gerda Reissner, einer Lehrerin in einer Brennpunktschule in Wien, sinngemäß zu sagen, die in meiner Sendung "Nie-mehr-Schule" anlässlich des Aktionstages am 21.9.15 in einer Studiodiskussion mit Bertrand Stern und anderen zu Gast war: Das wäre toll, wenn ich das an die jungen Menschen weitergeben könnte, was mir wirklich liegt - und nur die dabei wären, die daran interessiert sind. Ja, so wäre das, wenn wir die Institution Schule durch die von Ivan Iliich und Bertrand Stern propagierten Landschaften der freien Bildung ersetzten! Worauf warten? Setzen wir dem Leiden aller doch endlich ein Ende ... |
Michael Karjalainen-Dräger
diplomierter Pädagoge und Bachelor of Education war 10 Jahre im öffentlichen Schulwesen in Wien als Lehrer tätig, danach 3 Jahre lang Leiter einer von ihm gegründeten "freien" Schule in Niederösterreich. Seit 2013 trainiert er Menschen, die jungen Menschen freie Bildungs-Räume öffnen wollen. Kategorien
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March 2020
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