Es ist wirklich höchste Zeit, dass wir dem allgemeinen Leiden an der Institution Schule und ihrem erfolglosen aber nicht folgenlosen Unterrichten ein Ende bereiten.
In einem Beitrag mit dem Titel "Gerhard Riegler: SchulabbrecherInnen" auf QUINtessenzen, dem Blog von Ekkehard Quin, Vorsitzender der AHS-Lehrergewerkschaft, verweist der Autor auf Studien in England, Australien, den USA und der Schweiz. Aus diesen ginge hervor, dass in etwa die Hälfte aller Lehrenden der pädgaogischen Profession den Rücken kehren wollen. Es wird die Frage gestellt, ob "Österreichs 'BildungsexpertInnen' " glauben, "dass die LehrerInnen hierzulande mit unbegrenzter Geduld und Leidensfähigkeit ausgestattet sind?" Als Lösung wird vorgeschlagen, "endlich denen Gehör und Aufmerksamkeit" zu "schenken, die als PädagogInnen für ihre SchülerInnen beruflich ihr Bestes geben, an den Rahmenbedingungen aber immer öfter verzweifeln." Schließlich wird von "Österreichs Politik ... Professionalität statt Arroganz" gefordert, "damit nicht auch unter Österreichs LehrerInnen der Anteil derer explodiert, die ihre Profession an den Nagel hängen, um vorzeitig aus dem Schulwesen zu scheiden." Ich bin der festen Überzeugung, dass auch den LehrerInnen geholfen werden kann, wenn auch nicht auf die in Quin's Blog geforderte Weise. Die Institution Schule wird auch am 17.11.2015 - nach der derzeit noch für diesen Tag groß angekündigten nächsten Reform des Bildungswesens - nicht in seinen Grundfesten erschüttert und damit nachhaltig gewandelt werden. Es wird vielmehr durch diesen nächsten von gefühlten tausenden kleineren oder größeren Versuchen in seiner Grundstruktur weiter gestärkt werden. Und das ist schade, weil es allen Beteiligten schadet, auch den PolitikerInnen, die diese Veränderungen anleiern. Zurück zu meinem Vorschlag, der auch die LehrerInnen entlasten wird. so dass sie sich auf ihre eigentlichen Aufgaben konzentrieren können: Schaffen wir die Schule als Institution endlich ab! Geben wir den (jungen) Menschen in diesem Land das Recht frei sich zu bilden. Schaffen wir Bildungs-Räume, in denen die Fragen der Wissbegierigen und Bildungshungrigen von den Wissenden UND Erfahrenen sofort beantwortet werden und auf diese Weise eine wahrhaft gebildete Gesellschaft entsteht. Die "LehrerInnen" der Zukunft sind dann entweder BildungsWeg-BegeleiterInnen, MentorInnen oder reihen sich bei denen ein, die nicht nur aus Büchern und Schule sondern aus Erfahrung "wissen" und dieses Know-How auch authentisch und überzeugend weitergeben können. Um es mit Gerda Reissner, einer Lehrerin in einer Brennpunktschule in Wien, sinngemäß zu sagen, die in meiner Sendung "Nie-mehr-Schule" anlässlich des Aktionstages am 21.9.15 in einer Studiodiskussion mit Bertrand Stern und anderen zu Gast war: Das wäre toll, wenn ich das an die jungen Menschen weitergeben könnte, was mir wirklich liegt - und nur die dabei wären, die daran interessiert sind. Ja, so wäre das, wenn wir die Institution Schule durch die von Ivan Iliich und Bertrand Stern propagierten Landschaften der freien Bildung ersetzten! Worauf warten? Setzen wir dem Leiden aller doch endlich ein Ende ...
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Heute morgen am Bahnhof Hütteldorf:
Eine Schulklasse von rund 15 etwa 13- oder 14-jährigen jungen Menschen wird von einer jungen Lehrerin (geschätzte Anfang 20) dazu aufgefordert eine Reihe zu bilden. Der "wilde Haufen" allerdings setzt sich nur mühsam in Bewegung um die gewünschte Form anzunehmen. Bei der Lehrerin wächst die Ungeduld im Sekundentakt, sie versucht die Jugendlichen zu "motivieren" ihre Anweisung endlich auszuführen. Dazu fallen unter anderem folgende Worte: "Das ist noch immer keine Reihe!" "Das kann dich bitte ned so schwer sein!" "Hey, wie alt seid's ihr eigentlich?" "Das kann doch bitte nicht wahr sein...!" Es ging sicher noch eine Weile weiter so, aber ich überließ die Truppe dann sich selbst und weiß daher nicht wie die Geschichte ausgegangen ist - und ob sie möglicherweise verbal eskaliert ist. Meiner Erfahrung und Einschätzung nach gab es irgendwann dann eine Einigung auf eine Mehr-oder-Weniger-Reihe und alle starteten angeführt von ihrer Lehrerin, der es dann ziemlich egal war, was sich ab da hinter ihrem Rücken abspielte. Wie oft war auch ich in ähnlichen Situationen als ich noch dem Schuldienst frönte. Wie oft habe ich mich wirklich grässlich unwohl gefühlt, weil ich da zwingen musste - junge Menschen und mich selbst. "Mit sanfter Gewalt", hat mir damals eine ältere Kollegin gesagt, "sonst geht gar nix". Heute bin ich ob dieser Worte aber vor allem wegen dieser - auch meiner - "gewaltvollen" Vorgangsweise sehr betroffen. Dabei könnten es sich alle Beteiligte um so vieles einfacher machen, sie müssten weder sich noch andere zu etwas zwingen, was diese in jenem Moment nicht wollen. Und auch die Frage, die ich mir immer wieder gestellt habe, nämlich "Warum hört mir denn niemand zu?", wäre obsolet. Wie das? Ganz einfach: Wir nehmen jeden Menschen als freies Subjekt wahr, nehmen dessen JA und dessen NEIN ernst, lassen auf diese Weise jeglichen Zwang hinter uns. Ganz einfach? Nun ja, ich gebe zu, dass dies eine völlige Veränderung unseres bisherigen Bewusstseins fordert. Aber es ist möglich! Wie viele Unmöglichkeiten und Undenkbarkeiten sind heute Realität? Wie war das mit den Frauen, die lange noch als Objekte im Besitz ihrer Ehemänner standen? Bis in die beginnenden Siebziger des 20. Jahrunderts mussten sie die Erlaubnis ihrer Männer einholen, wenn sie einen Pass beantragen oder arbeiten gehen wollten. Und das war nicht im fernen von uns wegen der Nichteinhaltung der Menschenrechte oft gescholtenen Orient, sondern hier in Österreich! Und heute? Na eben, ganz einfach! Es braucht sicher Zeit bis es alle begreifen, dass Schulunterricht in der heutigen Form keinen Vorteil bringt sondern nur Nachteile, weil er Zwang auslöst - bei allen Beteiligten (also LehrerInnen, SchülerInnen, Eltern und Behörden). Veränderungen dieser Dimension gehen immer von den Betroffenen selbst aus, in dem sie sich den herrschenden Regeln verweigern, den zivilen Ungehorsam pflegen und ihren eigenen Weg finden. Wer heute das NEIN seiner Tochter, seines Sohnes oder seiner SchülerIn respektiert, wird erstaunt sein, wie sich vor ihm plötzlich und ungeahnt wunderbare Landschaften einer freien Bildung auftun. Denn nur wer sich auf den Weg macht, wird neues entdecken. Nutzen wir den Schwung des 1. Nie-mehr-Schule-Aktionstages vom vergangenen Montag und breche jedeR an ihrer/seiner Stelle auf in eine frei-sich-bildende Gesellschaft. Niemand muss sich alleine fühlen, denn gerade eben entsteht das wunderbare Netzwerk freier Bildungs-Räume, das jedeR gerne jederzeit nutzen kann! Gott ist tot, postulierte Friedrich Nietzsche vor rund 130 Jahren. Was ihm oft als Wunsch ausgelegt wurde, war eine sehr genaue Analyse seiner Zeit. Für ihn waren seine Zeitgenossen die "Mörder aller Mörder".
Schule ist tot, rufe ich heute in die Welt. Das war nie mein Wunsch, denn als eingefleischter Pädagoge und Lehrer war Schule für mich die Institution, die Menschen und Gesellschaft "macht". Sie war für mich der Hort der Zukunft, die Basis aller Menschlichkeit und die Chance auf Weltverbesserung. In ihren Krisen galt es für mich, sie zu reformieren. Zuletzt hielt ich sie für nicht von innen her veränderbar, sondern nur von außen. Ich wollte Menschen bewegen, eigene "freie" Schulen so zu gestalten, dass die öffentliche Schule davon lernen und sich verändern müsse oder davor kapitulieren. Das Beispiel Hollands war da eine Option für mich. Dort werden alle Schulen, öffentliche und private, gleichermaßen gefördert, wenn sie den staatlichen Anforderungen genügen. Nun, ich habe mich getäuscht. Schule ist tot. Umgebracht von allen Beteiligten:
Schule ist also tot - mausetot. Aber was nun, was kommt danach? Eine ungebildete, raue Gesellschaft, die wieder in die Steinzeit zurückfällt? Haben wir doch schon - trotz Schule oder gerade deswegen! Also, was kommt danach? Meine Vision einer post-scholare Gesellschaft gründet auf den Gedanken von Ivan Illich's "Deschooling society" und Bertrand Stern's Ideen zu einem "Frei-sich-Bilden". In einer solchen entschulten und frei-sich-bildenden Gesellschaft hat jeder Mensch das Recht auf Bildung (ohne Schulzwang) und zwar ein Leben lang.
In der Übergangszeit bis zur Verwirklichung dieses derzeit utopisch wirkenden aber keineswegs unrealistischen Ziels möchte ich mit dieser Website und den von mir angebotenen Landschaften der freien Bildung auf wachsen-werden-sein.at schon jene zur Mitwirkung einladen, die genug haben von einer Schule, die haufenweise verschulte und ungebildete Menschen produziert, weil sie das Recht des Individuums nicht ernst nimmt, weil sie funktionierende und konsumierende Menschen machen will, weil sie Menschen für den Arbeitsmarkt herstellen muss, damit das von uns geschaffene System aufrecht erhalten wird. Aber: diese Schule ist tot. Auch wenn es erst wenige zu wissen scheinen. Und mit ihr auch dieses System, was uns ja seit5 Jahren täglich vor Augen geführt wird (durch die vielen "Krisen" wie etwa jene der Finanz, jene Griechenlands, jene der EU und der Demokratie, jene der Flucht vor Krieg und Armut, ...). Starten wir also jetzt gemeinsam in eine neue Zukunft, in der Menschen das Nötige wissen, um die Welt so zu gestalten, dass sie für alle lebenswert ist. Es leben die Landschaften der freien Bildung und mit ihr die vielen kleinen Menschen, die an vielen kleinen Orten, viele kleine Dinge tun, um das Angesicht der Welt zu ändern! |
Michael Karjalainen-Dräger
diplomierter Pädagoge und Bachelor of Education war 10 Jahre im öffentlichen Schulwesen in Wien als Lehrer tätig, danach 3 Jahre lang Leiter einer von ihm gegründeten "freien" Schule in Niederösterreich. Seit 2013 trainiert er Menschen, die jungen Menschen freie Bildungs-Räume öffnen wollen. Kategorien
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March 2020
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