Die Kinderrechte werden heuer 30 Jahre alt – was hat sich dadurch aus Ihrer Sicht verändert bzw. verbessert?
De iure hat sich die Lage für junge Menschen verbessert, z.B. durch das Gewaltverbot, de facto gibt es tatsächlich noch Bereiche, in denen jungen Menschen Gewalt angetan wird, weniger physisch, aber mehr psychisch (etwa der schwer erkennbare emotionale Missbrauch oder Mobbing). Zudem ist die Partizipation von Kindern weiterhin nur sehr eingeschränkt möglich, da sie weiterhin als Objekte (der Erziehung) gesehen werden, denen erst gezeigt werden muss, wie Leben geht, und nicht als Subjekte, ganze, eigenständige Menschen. In Österreich wurden mit dem Bundesverfassungsgesetz 2011 nur acht Artikel über die Rechte von Kindern beschlossen – ist es aus ihrer Sicht wünschenswert, dass die gesamte Kinderrechtekonvention in die Verfassung aufgenommen wird? Absolut wünschenswert, ja sogar notwendig. Das ist ein weiterer Schritt in Richtung Bewusstseinsbildung. Wesentlich aber ist auch die konkrete Umsetzung der Konvention im Alltag des jungen Menschen. Und da hapert es noch immer gewaltig. In Österreich gelten Kinderrechte seit dem Jahr 1992, einige haben es auch in die österreichische Verfassung geschafft. Trotz vieler Fortschritte wissen viele Kinder und Jugendliche noch immer nicht über ihre eigenen Rechte Bescheid. Wie könnte man das Ihrer Meinung nach ändern? Hier sind die jungen Menschen auf die Unterstützung von Erwachsenen angewiesen. Die Bildungsinstitutionen schaffen das nur zu einem kleinen Teil, weil sie als SystemträgerInnen grundsätzlich kein Interesse daran haben dürfen, dass Kinder eigenständig sind. Information ist außerdem nur der geringste Teil im Hinblick auf das Ergreifen von Rechten. Vielmehr ist es von grundlegender Wichtigkeit, jungen Menschen den Raum und die Freiheit zu geben, diese Rechte auch in Anspruch zu nehmen und sie durchzusetzen. Dazu braucht es die Bereitschaft der Erwachsenen in Familie, Bildung und Politik, sich ernsthaft mit den Jungen auseinanderzusetzen. Es ist also ein gesamtgesellschaftlicher Paradigmenwechsel notwendig, der den Heranwachsenden Gleichwürdigkeit (Jesper Juul) zugesteht. Was wünschen Sie sich anlässlich des 30. Geburtstages der Kinderrechte für Kinder und Jugendliche in Österreich? Die Anerkennung der jungen Menschen als die wesentliche Kraft zur Erneuerung der Welt. Was wäre wenn erfahrene, weise Menschen und junge, fantasie- und kraftvolle Menschen gemeinsame Sache zur „Rettung“ der Welt unternähmen? Es gilt den Absichtserklärungen konkrete Taten folgen zu lassen, Basis ist der vorhin angesprochene Paradigmenwechsel und die Bereitschaft, junge Menschen als ganze Menschen anzuerkennen. Gibt es noch etwas wichtiges, dass Sie sagen wollen? Betonen möchte ich noch einmal die Wichtigkeit des Artikel 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 (!), der da lautet: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geist der Solidarität begegnen.“ Das gilt für alle Menschen von Geburt an! Wenn wir das endlich einmal begreifen, dann werden alle Zwangsmaßnahmen, die wir den Jungen und Jüngsten auferlegen endlich Geschichte sein und erst wirklicher Raum und wirkliche Freiheit für die Selbstentfaltung des Einzelnen möglich sein, die ein neues Bewusstsein schaffen für die Lösung der Herausforderungen in Gegenwart und Zukunft. Menschen, die sich ihrer Stärken und Schwächen bewusst sind (Selbst-Bewusstsein), sich auf Ihre Begabungen und Fähigkeiten verlassen können (Selbst-Vertrauen) und diese mit Freude und Engagement zum Nutzen der Gemeinschaft einbringen sind die Zukunft unserer Menschheits-Familie. Interview für den Bildungsblog der VHS Wien
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Im Jahr 1989 wurde die "Konvention über die Rechte des Kindes" von den Vereinten Nationen beschlossen. Am heutigen Tag der Kinderrechte, der alljährlich am 20.11. begangen wird, gibt es zahlreiche Feierstunden. Aber zum Feiern kann den Betroffenen nicht wirklich zu Mute sein. Kind zu sein ist oftmals auch heute noch eine Zumutung. Trotz aller Verbesserungen, die sich z.B. in einem Gewaltverbot in der Erziehung auch juristisch niedergeschlagen haben, gibt es auch im seligen Österreich noch jede Menge Verbesserungspotential.
Denn de facto gibt es tatsächlich noch Bereiche, in denen jungen Menschen Gewalt angetan wird, weniger physisch, aber mehr psychisch (etwa der schwer erkennbare emotionale Missbrauch oder Mobbing). Zudem ist die Partizipation von Kindern weiterhin nur sehr eingeschränkt möglich, da sie weiterhin als Objekte (der Erziehung) gesehen werden, denen erst gezeigt werden muss, wie Leben geht, und nicht als Subjekte, ganze, eigenständige Menschen. Um das zu ändern sind die jungen Menschen auf die Unterstützung von Erwachsenen angewiesen. Die Bildungsinstitutionen schaffen das nur zu einem kleinen Teil, weil sie als SystemträgerInnen grundsätzlich kein Interesse daran haben dürfen, dass Kinder eigenständig sind. Information ist außerdem nur der geringste Teil im Hinblick auf das Ergreifen von Rechten. Vielmehr ist es von grundlegender Wichtigkeit, jungen Menschen den Raum und die Freiheit zu geben, diese Rechte auch in Anspruch zu nehmen und sie durchzusetzen. Dazu braucht es die Bereitschaft der Erwachsenen in Familie, Bildung und Politik, sich ernsthaft mit den Jungen auseinanderzusetzen. Es ist also ein gesamtgesellschaftlicher Paradigmenwechsel notwendig, der den Heranwachsenden Gleichwürdigkeit (Jesper Juul) zugesteht. Betonen möchte ich noch einmal die Wichtigkeit des Artikel 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 (!), der da lautet: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geist der Solidarität begegnen.“ Das gilt für alle Menschen von Geburt an! Wenn wir das endlich einmal begreifen, dann werden alle Zwangsmaßnahmen, die wir den Jungen und Jüngsten auferlegen endlich Geschichte sein und erst wirklicher Raum und wirkliche Freiheit für die Selbstentfaltung des Einzelnen möglich sein, die ein neues Bewusstsein schaffen für die Lösung der Herausforderungen in Gegenwart und Zukunft. Menschen, die sich ihrer Stärken und Schwächen bewusst sind (Selbst-Bewusstsein), sich auf Ihre Begabungen und Fähigkeiten verlassen können (Selbst-Vertrauen) und diese mit Freude und Engagement zum Nutzen der Gemeinschaft einbringen sind die Zukunft unserer Menschheits-Familie. Ein erster Schritt könnte sein, Kinder aus ihrer Sächlichkeit, Objekthaftigkeit zu befreien, in dem wir sie zu Subjekten machen und sie fortan als junge Menschen ansprechen. Das Kind wird so zum jungen Mann oder zur jungen Frau und wir begegnen ihm zumindest schon einmal sprachlich auf Augenhöhe. |
Michael Karjalainen-Dräger
diplomierter Pädagoge und Bachelor of Education war 10 Jahre im öffentlichen Schulwesen in Wien als Lehrer tätig, danach 3 Jahre lang Leiter einer von ihm gegründeten "freien" Schule in Niederösterreich. Seit 2013 trainiert er Menschen, die jungen Menschen freie Bildungs-Räume öffnen wollen. Kategorien
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March 2020
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