Zur Halbzeit der Sommerferien meldeten sich heute per Presseaussendung die Österreichische Liga für Kinder- und Jugendgesundheit und der Bundesverband Österreichischer PsychologInnen zu Wort. Die Aussendung spricht Bände. Systemimmanent gedacht sind die Ausführungen zumindest nachvollziehbar. Mit einem Blick von außen aber zeigt sich darin der ganze Wahnsinn der Beschulungsideologie.
Da sind zuerst die Ferien, eine elendslange schulfreie Zeit, in der offenbar nichts gelernt wird und man daher in deren Hälfte wieder mal an die Schule und das Lernen denken sollte. Lernen und Schule gehören aus dieser eingeschränkten Sicht untrennbar zusammen, was aber - wie Bertrand Stern sehr deutlich ausführt - eine unzulässige Kausalität darstellt. Dann geht es - laut Aussendung - vor allem in der Grundschule um den Erwerb der Kulturtechniken, der Wiederholung erfordert. Diese Notwendigkeit verstärkt sich bei lernschwachen Kindern. Schon innerhalb eines Monats gehen drei Viertel des Wissens verloren. Ja warum denn wohl? Weil der angebotene Stoff nichts mit der Lebens- und Erfahrungswelt der jungen Menschen zu tun hat. Jeder Mensch, der sich mit der Welt um sich herum befasst, wird Lesen, Schreiben, Rechnen und Sprechen interessant finden. Das zeigen uns die sogenannten "Vorschulkinder", die im Kindergarten noch jede Menge Spaß an diesen Dingen haben, spätestens zu Weihnachten in ihrem ersten Schuljahr aber das alles als Qual empfinden. Der Vorschlag des spielerischen Integrierens dieses Stoffes in die Ferienaktivitäten ist bemüht aber wirkungslos. Wer von den Eltern und den auf diese Weise beschulten jungen Menschen fühlt sich denn wirklich locker, wenn er plötzlich auf einer Autofahrt das 1x1 üben soll? Wer will denn wirklich wissen, wieviele Meter es noch bis zur nächsten Tanke ist? Schön, dass dann doch auch davon die Rede ist, dass genügend Zeit bleiben soll, um die Natur zu erkunden oder Zeit mit Familie und Freunden zu verbringen. Auch die Langeweile wird gelobt. Bei diesen Worten bin ich erstmals angetan. Aber: ein Zusammenhang zwischen diesen Erfahrungen und dem Lernen wird keiner gezogen. Warum? Weil sie außerhalb der Institution Schule stattfinden. Dabei zielt doch gerade der Begriff Schule, den diese unsägliche über-fürsorgliche Einrichtung okkupiert hat, auch auf das letztgenannte ab. Muße bedeutet aber nicht bloß Müßiggang sondern die Zeit, sich mit dem zu beschäftigen, was gerade interessant ist. Und das so intensiv und lange wie es für jeden sinnvoll ist. Kein Wunder also, dass die institutionelle Schule (auch) krank macht. Um das zu vermeiden, schlagen die in der Presseaussendung zitierten ExpertInnen abschließend denn auch vor, Lernsituationen dahingehend zu optimieren, dass diese in einer stressfreien Atmosphäre und "in einem Rhythmus von gezielten Lern- und Erholungsphasen" stattfinden. Schule möge nicht nur ein Ort der Wissensvermittlung sondern auch der sozialen Begegnung sein. Dies sind aus meiner Sicht Träumereien, die fern jeglicher Realität dieser Unterrichtsvollzugsanstalten sind. Viemehr wäre es hilfreich, wenn die NGOs, die solche Ausführungen in die Welt setzen, mal die Institution Schule in Frage stellen würden. Sie nämlich verhindert das Lernen und vor allem das Leben und erzeugt jene Menschen, denen dann mangelnde Lebenstüchtigkeit vorgewofen wird. Dieses Paradoxon weist deutlich auf eine kränkende Perversion des Systems hin, die dringend abgeschafft werden muss. Beispiele wie das geht gibt es mittlerweile schon jede Menge.
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Es ist wirklich höchste Zeit, dass wir dem allgemeinen Leiden an der Institution Schule und ihrem erfolglosen aber nicht folgenlosen Unterrichten ein Ende bereiten.
In einem Beitrag mit dem Titel "Gerhard Riegler: SchulabbrecherInnen" auf QUINtessenzen, dem Blog von Ekkehard Quin, Vorsitzender der AHS-Lehrergewerkschaft, verweist der Autor auf Studien in England, Australien, den USA und der Schweiz. Aus diesen ginge hervor, dass in etwa die Hälfte aller Lehrenden der pädgaogischen Profession den Rücken kehren wollen. Es wird die Frage gestellt, ob "Österreichs 'BildungsexpertInnen' " glauben, "dass die LehrerInnen hierzulande mit unbegrenzter Geduld und Leidensfähigkeit ausgestattet sind?" Als Lösung wird vorgeschlagen, "endlich denen Gehör und Aufmerksamkeit" zu "schenken, die als PädagogInnen für ihre SchülerInnen beruflich ihr Bestes geben, an den Rahmenbedingungen aber immer öfter verzweifeln." Schließlich wird von "Österreichs Politik ... Professionalität statt Arroganz" gefordert, "damit nicht auch unter Österreichs LehrerInnen der Anteil derer explodiert, die ihre Profession an den Nagel hängen, um vorzeitig aus dem Schulwesen zu scheiden." Ich bin der festen Überzeugung, dass auch den LehrerInnen geholfen werden kann, wenn auch nicht auf die in Quin's Blog geforderte Weise. Die Institution Schule wird auch am 17.11.2015 - nach der derzeit noch für diesen Tag groß angekündigten nächsten Reform des Bildungswesens - nicht in seinen Grundfesten erschüttert und damit nachhaltig gewandelt werden. Es wird vielmehr durch diesen nächsten von gefühlten tausenden kleineren oder größeren Versuchen in seiner Grundstruktur weiter gestärkt werden. Und das ist schade, weil es allen Beteiligten schadet, auch den PolitikerInnen, die diese Veränderungen anleiern. Zurück zu meinem Vorschlag, der auch die LehrerInnen entlasten wird. so dass sie sich auf ihre eigentlichen Aufgaben konzentrieren können: Schaffen wir die Schule als Institution endlich ab! Geben wir den (jungen) Menschen in diesem Land das Recht frei sich zu bilden. Schaffen wir Bildungs-Räume, in denen die Fragen der Wissbegierigen und Bildungshungrigen von den Wissenden UND Erfahrenen sofort beantwortet werden und auf diese Weise eine wahrhaft gebildete Gesellschaft entsteht. Die "LehrerInnen" der Zukunft sind dann entweder BildungsWeg-BegeleiterInnen, MentorInnen oder reihen sich bei denen ein, die nicht nur aus Büchern und Schule sondern aus Erfahrung "wissen" und dieses Know-How auch authentisch und überzeugend weitergeben können. Um es mit Gerda Reissner, einer Lehrerin in einer Brennpunktschule in Wien, sinngemäß zu sagen, die in meiner Sendung "Nie-mehr-Schule" anlässlich des Aktionstages am 21.9.15 in einer Studiodiskussion mit Bertrand Stern und anderen zu Gast war: Das wäre toll, wenn ich das an die jungen Menschen weitergeben könnte, was mir wirklich liegt - und nur die dabei wären, die daran interessiert sind. Ja, so wäre das, wenn wir die Institution Schule durch die von Ivan Iliich und Bertrand Stern propagierten Landschaften der freien Bildung ersetzten! Worauf warten? Setzen wir dem Leiden aller doch endlich ein Ende ... Als ich in meinem letzten Blogbeitrag vom vergangenen Montag Einstein als Schulversager darstellte, wurde ich prompt eines besseren belehrt.
Gut so! Ich lerne (mittlerweile) gerne! Und das, obwohl ich nach der Matura nie wieder eine "Bildungseinrichtung" betreten wollte und Lernen für mich auf Schule reduziert war. Nie mehr Schule - nie mehr lernen! So stürzte ich mich damals gleich mal in eine Karriere als Banker, die mich knappe 10 Jahre später in einem Burnout zurückließ. Das hieß damals übrigens noch ziemlich sperrig und "Alt-Deutsch" Vegetatives Erschöpfungssysndrom. Also musste ich mich mit Anfang Dreißig auf die Suche nach meinem eigentlichen Wesen begeben. Auch das war gut so. Besser später als zu spät. Nun, knappe zwei Jahrzehnte danach, bin ich einer, der seinen Bildungsweg sehr individuell und an den Fragen orientiert, die sich mir immer wieder (neu) stellen, Schritt für Schritt geht. Auch bin ich zum Bewusstsein gelangt, dass ich mit meinem schlechten "Schulgefühl" recht hatte. Die Institution Schule bietet keine Orte einer nachfrageorientierten Bildung, die dem Wesen des Wissbegierigen entspricht. Sie bietet ja auch höchst selten wahrhaft Wissende, die nicht nur über etwas reden, das sie aus Büchern oder in verschulten Bildungsinstitutionen erworben haben, sondern durch eigene Erfahrung UND Bildung. Zurück zu Einstein. Einstein war also - auch meiner neuesten Recherche nach - kein Schulversager. Danke, dass diese Legende nun endlich geklärt ist. Aber - und auch das konnte ich durch meine Recherche herausfinden - er war ein schulkritischer Mensch. Einer, der die Institution und ihre Praktiken anprangerte. Einer, der das Pauken und den eingeforderten blinden Gehorsam nicht akzeptieren wollte. Einer, der mit schulkritischen Bemerkungen auch in den Jahren nach der Schule seine Einstellung kundtat. Und insofern ist er für mich zum noch gewichtigeren Zeugen dafür geworden, dass die "Schule" und ihr Unterricht von gestern sind. Einem Schulversager könnte man leicht vorwerfen, dass er die Schule deswegen schlecht macht, weil er nicht damit zu recht gekommen ist. Einem erfolgreichen Schüler aber wird man diesen Vorwurf nicht so ohne weiters machen können. Und so möchte ich meinen Beitrag mit einem Einstein zugeschriebenen Zitat beschließen: "Weisheit ist nicht das Ergebnis der Schulbildung, sondern des lebenslangen Versuchs, sie zu erwerben." Machen wir uns also auf den Weg zur Weisheit - und legen wir die Fesseln des gegenwärtigen Schulunterrichts ab, um endlich frei uns zu bilden! |
Michael Karjalainen-Dräger
diplomierter Pädagoge und Bachelor of Education war 10 Jahre im öffentlichen Schulwesen in Wien als Lehrer tätig, danach 3 Jahre lang Leiter einer von ihm gegründeten "freien" Schule in Niederösterreich. Seit 2013 trainiert er Menschen, die jungen Menschen freie Bildungs-Räume öffnen wollen. Kategorien
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March 2020
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