Vor rund zehn Tagen hat der Boulevard das Thema Gewalt in den Schulen ausgeschlachtet. ÖVP-Sicherheitssprecher Karl Mahrer, der ehemalige Landespolizeikommandant und Landespolizeivizepräsident, der seit der letzten Nationalratswahl als Parlamentarier arbeitet, hat eine diesbezügliche Anfrage an den Innenminister, der dem Koalitionspartner seiner Partei angehört, gerichtet.
Aus meiner Sicht hatte diese Anfrage genau jenen Sinn, den Boulevard zu instrumentalisieren, um die Menschen mit einem Bericht über die unhaltbaren Zustände in Österreichs Schulen zu erschrecken. Interessant erscheint mir auch der Lösungsansatz Mahrers, der zur Prävention verpflichtende Anti-Gewalt-Trainings – analog der Verkehrserziehung - durch die Polizei fordert. Dieser Ansatz ist leider zu kurz gegriffen, denn gewaltvoll werden hoher Wahtrschienlichkeit jene, denen Gewalt angetan wird. So hat der us-amerikanisch-österreichische Aggressionsforscher und Psychoanalytiker Friedrich Hacker festgestellt, dass Menschen, die um jeden Preis verhindern wollen, dass Kinder aggressiv werden, dies nur unter Anwendung von Gewalt tun können, was die Gewaltspirale erst recht in Gang setzt. Was ebenso nicht bedacht wird, ist, dass auch das Schulsystem in seiner Struktur gewaltvoll ist. Die deutsche Psychologin und Therapeutin Franziska Klinkigt hat dazu ein überzeugendes Buch mit dem Titel „Wer sein Kind liebt“ publiziert. Das Schulsystem in Deutschland bietet ja nicht die Möglichkeit der Anmeldung zum häuslichen Unterricht, die wir in Österreich kennen. Damit kann man sich zumindest unterm Jahr mehr oder weniger vom Schulsystem freistellen lassen, das einen aber mitunter bei der vor Schuljahresende notwendigen Externistenprüfung wieder einholt. In Deutschland herrscht sozusagen ganzjährig Schulanwesenheitszwang. In Österreich versuchen die Behörden, die mit einer wachsenden Rate an Homeschoolern konfrontiert sind, den Schulanwesenheitszwang zu erhöhen. In manchen Bundesländern werden von daher umfassende Formulare übermittelt, wenn man sein Kind zum häuslichen Unterricht abmelden will. Damit soll festgestellt werden, ob die Gleichwertigkeit des häuslichen mit dem schulischen Unterricht gegeben ist, im Zweifel werden die Eltern vom Landeschulrat zu einem klärenden Gespräch eingeladen. Zudem gibt es ab September dieses Jahres auch die verschärfte Bestrafung der Eltern von „SchulschwänzerInnen“, ohne die bisherige Möglichkeit, die Hintergründe zu klären. Wenn jemand mehr als 3 Tage unentschuldigt fehlt, werden dessen Eltern mit mindestens € 110,- bestraft. Die Schulen sind also aufgefordert, hier genaue Aufzeichnungen zu führen und im Fall anzuzeigen. Bislang galt ein Fünfstufenplan, der unter Mitwirkung aller verantwortlichen Stellen, inklusive Schulpsychologie und Jugendwohlfahrt eine Klärung der Gründe für das Fernbleiben vom Unterricht zu erheben versucht hat., was - zugegeben – meist auch nicht wirklich funktioniert hat. Diese neuen Regeln verschärfen den schon vorhandenen Druck zusätzlich und damit ebenso die ohnehin schon vorhandene Gewalt des Schulsystems. Dagegen werden auch Anti-Gewalt-Trainings an den Schulen kaum etwas ändern. Im besten Fall werden sie Menschen dazu bringen, der Gewalt, der sie ausgesetzt sind, anders und konstruktiver zu begegnen. Im schlechtesten Fall wirken sie womöglich sogar kontraproduktiv und steigern die Gewalt (siehe Friedrich Hacker). Wenn das Thema also ernsthaft gelöst werden soll, dann müssen auch die verantwortlichen PolitikerInnen über Mahrers Ansatz hinausdenken und sich auch dem systemimmanenten Terror der Schule stellen. Aus der Bildungspflicht sollte dann ein wirkliches Recht auf Bildung werden, das jedem Menschen den je eigenen Bildungsweg ermöglicht: in der Schule oder auf eine andere, individuelle Art und Weise.
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Zur Halbzeit der Sommerferien meldeten sich heute per Presseaussendung die Österreichische Liga für Kinder- und Jugendgesundheit und der Bundesverband Österreichischer PsychologInnen zu Wort. Die Aussendung spricht Bände. Systemimmanent gedacht sind die Ausführungen zumindest nachvollziehbar. Mit einem Blick von außen aber zeigt sich darin der ganze Wahnsinn der Beschulungsideologie.
Da sind zuerst die Ferien, eine elendslange schulfreie Zeit, in der offenbar nichts gelernt wird und man daher in deren Hälfte wieder mal an die Schule und das Lernen denken sollte. Lernen und Schule gehören aus dieser eingeschränkten Sicht untrennbar zusammen, was aber - wie Bertrand Stern sehr deutlich ausführt - eine unzulässige Kausalität darstellt. Dann geht es - laut Aussendung - vor allem in der Grundschule um den Erwerb der Kulturtechniken, der Wiederholung erfordert. Diese Notwendigkeit verstärkt sich bei lernschwachen Kindern. Schon innerhalb eines Monats gehen drei Viertel des Wissens verloren. Ja warum denn wohl? Weil der angebotene Stoff nichts mit der Lebens- und Erfahrungswelt der jungen Menschen zu tun hat. Jeder Mensch, der sich mit der Welt um sich herum befasst, wird Lesen, Schreiben, Rechnen und Sprechen interessant finden. Das zeigen uns die sogenannten "Vorschulkinder", die im Kindergarten noch jede Menge Spaß an diesen Dingen haben, spätestens zu Weihnachten in ihrem ersten Schuljahr aber das alles als Qual empfinden. Der Vorschlag des spielerischen Integrierens dieses Stoffes in die Ferienaktivitäten ist bemüht aber wirkungslos. Wer von den Eltern und den auf diese Weise beschulten jungen Menschen fühlt sich denn wirklich locker, wenn er plötzlich auf einer Autofahrt das 1x1 üben soll? Wer will denn wirklich wissen, wieviele Meter es noch bis zur nächsten Tanke ist? Schön, dass dann doch auch davon die Rede ist, dass genügend Zeit bleiben soll, um die Natur zu erkunden oder Zeit mit Familie und Freunden zu verbringen. Auch die Langeweile wird gelobt. Bei diesen Worten bin ich erstmals angetan. Aber: ein Zusammenhang zwischen diesen Erfahrungen und dem Lernen wird keiner gezogen. Warum? Weil sie außerhalb der Institution Schule stattfinden. Dabei zielt doch gerade der Begriff Schule, den diese unsägliche über-fürsorgliche Einrichtung okkupiert hat, auch auf das letztgenannte ab. Muße bedeutet aber nicht bloß Müßiggang sondern die Zeit, sich mit dem zu beschäftigen, was gerade interessant ist. Und das so intensiv und lange wie es für jeden sinnvoll ist. Kein Wunder also, dass die institutionelle Schule (auch) krank macht. Um das zu vermeiden, schlagen die in der Presseaussendung zitierten ExpertInnen abschließend denn auch vor, Lernsituationen dahingehend zu optimieren, dass diese in einer stressfreien Atmosphäre und "in einem Rhythmus von gezielten Lern- und Erholungsphasen" stattfinden. Schule möge nicht nur ein Ort der Wissensvermittlung sondern auch der sozialen Begegnung sein. Dies sind aus meiner Sicht Träumereien, die fern jeglicher Realität dieser Unterrichtsvollzugsanstalten sind. Viemehr wäre es hilfreich, wenn die NGOs, die solche Ausführungen in die Welt setzen, mal die Institution Schule in Frage stellen würden. Sie nämlich verhindert das Lernen und vor allem das Leben und erzeugt jene Menschen, denen dann mangelnde Lebenstüchtigkeit vorgewofen wird. Dieses Paradoxon weist deutlich auf eine kränkende Perversion des Systems hin, die dringend abgeschafft werden muss. Beispiele wie das geht gibt es mittlerweile schon jede Menge. Das im Mai in Wien tagende Kapitalismustribunal ermöglicht jedem Menschen auf der ganzen Welt Anklage gegen die von unserem herrschenden Wirtschafts- und Gesellschaftssystem verursachten Missstände zu erheben. Diese Chance habe ich genutzt, um den Bildungsbereich in Österreich betreffend drei Anklagen einzubringen. Beschuldigt von mir werden in allen drei Fällen jene Abgeordneten zum Nationalrat, die die geltenden Gesetze beschlossen haben, die
Bundesregierung der Republik Österreich, im speziellen die Bundesministerin für Bildung und Frauen, die die aktuelle Gesetzeslage nicht ändert, die Schulbehörden in Österreich, die die geltende Rechtslage ohne Augenmaß vollziehen. Die erste Anklage befasst sich mit der dringend notwendigen Gleichstellung aller Schulen, egal ob öffentlich, privat mit konfessionellem Schulerhalter oder frei: "Die österreichischen Schulgesetze sehen zwar für jede natürliche und juristische Person die Möglichkeit zur Gründung einer Privatschule vor, es gibt jedoch mehrere Kategorien innerhalb dieser Schulart: A) Die Privatschulen, die von einer vom österreichischen Gesetzgeber anerkannten Religionsgemeinschaft erhalten werden; diese erhalten die Lehrergehälter von der öffentlichen Hand ersetzt, was bis zu 80 % des Schulbudgets ausmacht. B) Die Privatschulen mit und ohne Öffentlichkeitsrecht, die von anderen TrägerInnen erhalten werden; diese erhalten, wenn sie einem Dachverband von freien Schulen beigetreten sind, derzeit in etwa € 750,- pro SchülerIn und Schuljahr. C) Die Privatschulen mit und ohne Öffentlichkeitsrecht, die von anderen TrägerInnen erhalten werden und nicht einem der oa. Dachverbände beigetreten sind; diese müssen für die Schulerhaltung zur Gänze aufkommen. Bei derzeit von der OECD berechneten Ausgaben von € 8.000,- (Grundschule) bis € 12.000,- (Neue Mittelschule) pro SchülerIn und Schuljahre erspart sich die öffentliche Hand je nach oa. Schulart im Extremfall den Gesamtbetrag. Diesen müssen dann Eltern und SchulerhalterInnen aus eigener Tasche bezahlen. Diese Gesetzeslage stellt einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz und die Österreichische Verfassung dar. Daher fordere ich eine Gleichstellung aller oa. Schularten mit den von Bund und Gemeinden erhaltenen öffentlichen Schulen und deren 100%ige Finanzierung ohne Elternbeitrag." Die zweite Anklage fordert die Gleichstellung aller außerschulischen Modelle der Bildung mit der instutution Schule: "Die österreichischen Schulgesetze fordern zwar keine Schulpflicht, aber eine Unterrichtspflicht. Junge Menschen im “schulpflichtigen Alter” können dieser Unterrichtspflicht auch im häuslichen Unterricht oder im Unterricht einer Privatschule ohne Öffentlichkeitsrecht nachgehen, müssen jedoch vor Schuljahresende in Externistenprüfungen nachweisen, dass sie den Unterrichtsstoff der entsprechenden Schulstufe erfolgreich beherrschen. Diese Gesetzeslage ignoriert das Menschenrecht, damit auch das Kinderrecht auf ein NEIN zur Zwangsbeschulung und auferlegt den (jungen) Menschen eine Bildungspflicht nach curriculären Maßstäben statt eines Rechtes auf Bildung. Somit verstößt sie gegen die von Österreich unterzeichnete Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, die UN-Kinderrechtskonvention, die Europäische Menschenrechtskonvention und die österreichische Verfassung. Daher fordere ich die volle auch finanzielle Gleichstellung von Modellen außerhalb dieses Unterrichts- und Externistenprüfungszwanges mit der institutionellen Schule, wie Freilernen oder organisierten häuslichen Unterricht. Diese ermöglichen es (jungen) Menschen frei sich zu bilden. In nachfrageorientierten und von der öffentlichen Hand finanzierten Landschaften einer solchen freien Bildung - wie von den Philosophen Bertrand Stern und Ivan Illich vorgeschlagen - sollen junge Menschen sich ihren Potentialen entsprechend bilden. Rahmenbedingungen, wie wie virtuelle und reale BildungsRäume, BildungswegbegleiterInnen und MentorInnen werden von der öffentlichen Hand gratis zur Verfügung gestellt." Und die dritte will mit der Unsitte aufräumen, dass ein unterjähriges Abmelden zum häuslichen Unterricht unmöglich ist: "Die österreichische Gesetzeslage sieht die Möglichkeit einer Abmeldung zum häuslichen Unterricht vor. Diese muss in der Regel bis zum Tag vor dem Beginn des neuen Schuljahres erfolgen. Andererseits gibt es für SchülerInnen die Möglichkeit im Laufe eines Schuljahres die Schule und die Schulart zu wechseln. Dieses Recht wird aber jenen verweigert, die unterjährig von einer institutionellen Schule in den häuslichen Unterricht wechseln wollen, womit eine selbst vom österreichischen Gesetzgeber grundsätzlich nicht gewünschte Schulpflicht eintritt. Das stellt einen Verstoß gegen den Gleichheitgrundsatz der österreichischen Verfassung dar, ebenso aber auch einen Verstoß gegen die von Österreich unterzeichnete Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, die UN-Kinderrechtskonvention und die Europäische Menschenrechtskonvention Daher fordere ich die Ermöglichung der unterjährigen Abmeldung zum häuslichen Unterricht, um den Bildungsbedürfnissen von jungen Menschen entsprechen zu können und den in diesem Fall geltenden Schulzwang aufzuheben." Diese Anklagen können gerne unterstützt werden bzw. können noch bis heute, 17.4.16, 24 Uhr eigene Anklagen eingebracht werden. Heute morgen am Bahnhof Hütteldorf:
Eine Schulklasse von rund 15 etwa 13- oder 14-jährigen jungen Menschen wird von einer jungen Lehrerin (geschätzte Anfang 20) dazu aufgefordert eine Reihe zu bilden. Der "wilde Haufen" allerdings setzt sich nur mühsam in Bewegung um die gewünschte Form anzunehmen. Bei der Lehrerin wächst die Ungeduld im Sekundentakt, sie versucht die Jugendlichen zu "motivieren" ihre Anweisung endlich auszuführen. Dazu fallen unter anderem folgende Worte: "Das ist noch immer keine Reihe!" "Das kann dich bitte ned so schwer sein!" "Hey, wie alt seid's ihr eigentlich?" "Das kann doch bitte nicht wahr sein...!" Es ging sicher noch eine Weile weiter so, aber ich überließ die Truppe dann sich selbst und weiß daher nicht wie die Geschichte ausgegangen ist - und ob sie möglicherweise verbal eskaliert ist. Meiner Erfahrung und Einschätzung nach gab es irgendwann dann eine Einigung auf eine Mehr-oder-Weniger-Reihe und alle starteten angeführt von ihrer Lehrerin, der es dann ziemlich egal war, was sich ab da hinter ihrem Rücken abspielte. Wie oft war auch ich in ähnlichen Situationen als ich noch dem Schuldienst frönte. Wie oft habe ich mich wirklich grässlich unwohl gefühlt, weil ich da zwingen musste - junge Menschen und mich selbst. "Mit sanfter Gewalt", hat mir damals eine ältere Kollegin gesagt, "sonst geht gar nix". Heute bin ich ob dieser Worte aber vor allem wegen dieser - auch meiner - "gewaltvollen" Vorgangsweise sehr betroffen. Dabei könnten es sich alle Beteiligte um so vieles einfacher machen, sie müssten weder sich noch andere zu etwas zwingen, was diese in jenem Moment nicht wollen. Und auch die Frage, die ich mir immer wieder gestellt habe, nämlich "Warum hört mir denn niemand zu?", wäre obsolet. Wie das? Ganz einfach: Wir nehmen jeden Menschen als freies Subjekt wahr, nehmen dessen JA und dessen NEIN ernst, lassen auf diese Weise jeglichen Zwang hinter uns. Ganz einfach? Nun ja, ich gebe zu, dass dies eine völlige Veränderung unseres bisherigen Bewusstseins fordert. Aber es ist möglich! Wie viele Unmöglichkeiten und Undenkbarkeiten sind heute Realität? Wie war das mit den Frauen, die lange noch als Objekte im Besitz ihrer Ehemänner standen? Bis in die beginnenden Siebziger des 20. Jahrunderts mussten sie die Erlaubnis ihrer Männer einholen, wenn sie einen Pass beantragen oder arbeiten gehen wollten. Und das war nicht im fernen von uns wegen der Nichteinhaltung der Menschenrechte oft gescholtenen Orient, sondern hier in Österreich! Und heute? Na eben, ganz einfach! Es braucht sicher Zeit bis es alle begreifen, dass Schulunterricht in der heutigen Form keinen Vorteil bringt sondern nur Nachteile, weil er Zwang auslöst - bei allen Beteiligten (also LehrerInnen, SchülerInnen, Eltern und Behörden). Veränderungen dieser Dimension gehen immer von den Betroffenen selbst aus, in dem sie sich den herrschenden Regeln verweigern, den zivilen Ungehorsam pflegen und ihren eigenen Weg finden. Wer heute das NEIN seiner Tochter, seines Sohnes oder seiner SchülerIn respektiert, wird erstaunt sein, wie sich vor ihm plötzlich und ungeahnt wunderbare Landschaften einer freien Bildung auftun. Denn nur wer sich auf den Weg macht, wird neues entdecken. Nutzen wir den Schwung des 1. Nie-mehr-Schule-Aktionstages vom vergangenen Montag und breche jedeR an ihrer/seiner Stelle auf in eine frei-sich-bildende Gesellschaft. Niemand muss sich alleine fühlen, denn gerade eben entsteht das wunderbare Netzwerk freier Bildungs-Räume, das jedeR gerne jederzeit nutzen kann! Für meine Studio-Diskussion in meiner Sendung "Nie mehr Schule" auf Radio Orange am heutigen Montag war ich mehr als 2 Wochen lang auf der Suche nach einem Juristen, einer Juristin, die den (kinder-)rechtlichen Aspekt der Diskussion eines "Frei-sich-Bildens" ohne Schulzwang abdecken könnte.
Es war ein langer, "leidvoller" Weg von der Uni Wien über das Ludwig-Boltzmann-Institut für Menschenrechte hin zu UNESCO, UNICEF und schließlich Kinder- und Jugendanwaltschaft der Stadt Wien. Letztlich kam keinE VertreterIn aus dieser Gruppe in die Sendung. Für die einen gab es Terminprobleme, die anderen sahen das Problem aufgrund des weltweit horrenden Analphabethismus als "Luxus" an und die eingeladene Kinderanwältin wurde am Sendungstag krank. Von ihrem Sekretariat bekam ich den Tipp, mich an die Leiterin des Schulpsychologischen Dienstes des Stadtschulrates für Wien zu wenden. Nachdem ich mehrmals verbunden wurde und eine weitere Sekretariatskraft mich an die Pressestelle des Stadtschulrates weiterleitete um eine Genehmigung für den öffentlichen Auftritt der genannten Person einzuholen, da ließ ich mein Ansinnen fallen. Waren wir halt nur zu viert: Bertrand Stern, eine Mutter, eine Lehrerin und eine SchülerInnen-Vertreterin. Erst nach diesem montäglichen Telefon-Marathon wurde mir bewusst, was sich da in den letzten Wochen abgespielt hatte. Da wollte es der Zufall, dass ich vom Staatsrechtler, über die Menschenrechtler zu den Kinderrechtlern und von dort direkt in der Schulpsychologie landete. Kafkaesk! Aber auch symptomatisch. Denn wie viele junge Menschen werden psychiatriert, medikalisiert oder sogar kriminalisiert, wenn sie NEIN zum Unterricht in der Schule sagen. Und wie viele Menschen, die dieses NEIN hören werden ebenfalls kriminalisiert und neben Verwaltungsstrafen für die Verletzung der Schulpflicht sogar mit Sorgerechtsentzug bedroht. So kann das und darf das nicht weitergehen. Diese Missachtung des Subjektstatus eines jeden Menschen - auch eines jungen -, der in der Deklaration der Menschenrechte und in der Kinderrechtskonvention als unantastbar festgehalten ist, ist das wahre Verbrechen. Und so geht es, bei all den täglichen juristischen Ärgernissen, denen man sich aussetzt, wenn man einen anderen Weg einschlägt, vor allem darum, dieses grundlegende Menschenrecht einzufordern - und wenn, es nicht respektiert wird, auch bei den entsprechenden Gerichten einzuklagen. Also: Let's do so! Let's go! Seit geraumer Zeit ringe ich mit dem Begriff "Kindheit". Mit dem Begriff "Mädchen" geht mir das schon länger so, da die deutsche Grammatik junge Frauen zu Sachen macht. Bertrand Stern hat in seinem Sommergespräch mit mir auf Radio Orange die Begriffe Schule, Lernen und Kind reflektiert und kritisch betrachtet. Das hat mich wieder einmal nachdenklich gemacht.
Nun stehe ich bereits am Ende der ersten Schulwoche im Osten Österreichs (der Westen startet ja erst am kommenden Montag in den Alltag)wieder mitten im schon verdrängten "Kinder"-Wahn. Diese jungen Menschen werden von ihren Bezugspersonen - und damit auch von vielen LehrerInnen - als klein und unmündig angesehen. Dementsprechend fällt dann auch das Zusammenleben aus, in dem sie andauernd belehrt werden, wie sie was zu machen hätten. Dann darf man sich nicht wundern, wenn sie überhaupt keine Eigeninitiative mehr entwickeln und nur noch auf Anweisung funktionieren. Abgesehen davon ist das von Unterrichtenden oft kritisierte "Tratschen" jedenfalls auch immer der Versuch, sich das gerade "Durchgenommene" mit eigenen Worten anzueignen. In der Lerntypenforschung werden jene auch "verbaler Lerntyp" genannt. Junge Menschen als "Kinder" zu bezeichnen ist meiner Ansicht nach Fluch und Segen, wobei meiner Meinung nach die Nachteile eindeutig überwiegen. Einerseits bedeutet es Schutz für die Heranwachsenden, andererseits gesteht man ihnen damit - auch grammatisch - keinen Subjekt-Status zu. "Das" Kind wird auf dieser Weise auch zu einem von Erwachsenen abhängigen Objekt degradiert, für die die Erklärung der Menschenrechte nur eingeschränkt gilt. Als solche Einschränkung könnte man die Kinderrechtskonvention missverstehen. Aber: sie formuliert die Menschenrechte aus der spezifischen Perspektive von Kindern und ist so gesehen deren Vertiefung für den Umgang von Erwachsenen mit den Heranwachsenden. Das "best interest of the child" - ins Deutsche mit dem Begriff "Kindeswohl" übertragen - ist demnach vorrangig zu berücksichtigen. Auch hier kommt es zu vielen Missverständnissen - wie etwa Anzeigen des Stadtschulrates gegen Freilerner-Eltern bezeugen, die in der Verletzung der Schulpflicht eine Kindeswohlgefährdung erkennen, die übrigens auch durch kein Gesetz zu rechtfertigen ist - und schon gar nicht mit der angesprochenen Kinderrechtskonvention. Soweit allerdings muss man gar nicht gehen, wenn man den Alltag von jungen Menschen betrachtet. Denn auch das derzeit herrschende Bildungssystem zwingt sie in den Objekt-Status von Zwangsbeschulten, die zu klein oder zu unentwickelt, ja sogar unterentwickelt sind, um sich frei um ihre Bildung zu kümmern. Sicher brauchen sie unter anderem - wie wir alle von Zeit zu Zeit -Menschen die sie begleiten und ihnen die Möglichkeiten aufzeigen, wie sie ihre Neugier und ihren Wissensdurst stillen können. Dazu aber dient der Unterricht keineswegs. Hier werden sie systematisch für dumm verkauft - damit sie gute "Untertanen" werden. Oder wie es Reinhard Mey in seinem Lied "Sei wachsam" treffend formuliert: "Der Minister nimmt flüsternd den Bischof beim Arm: Halt du sie dumm, – ich halt’ sie arm!" Meine Gedanken zum Schulbeginn
Von A. A. Milne gibt es das wunderbare Buch Winnie-the-Pooh, das vor knapp 90 Jahren zum ersten Mal erschienen ist. Es ist in seinem Original sprachlich und inhaltlich von der vom Disney-Konzern verhunzten filmischen Umsetzung (natürlich als „kindgerechter“ Zeichentrickfilm) meilenweit entfernt – und eine deutsche Lektüre lohnt sich in der Übersetzung den genialen Harry Rohwolt. Den in der Überschrift zitierten Titel des 7. Kapitels im 2.Teil übersetzt er „…in dem Tigger gestüm gemacht wird“. Im Gegensatz zu seiner ungestümen Art soll Tigger also auf Betreiben von Rabbit eine Lektion erteilt werden („It’s time we taught him a lesson!“), um endlich gestüm, also angepasst zu sein. Wer denkt da nicht an die Schule, in der die Stunden genau jene Ziele verfolgen: „…to get the bounces out of tigger“, „There’s too much of him” – er muss klein gemacht werden, dass „he’ll be a different Tigger altogether … he’ll be a humble, sad, melancholic, small and sorry Tigger, an Oh-Rabbit-I-am-glad-to-see-you Tigger”. Setz’ jetzt statt Rabbit einfach Schule ein – und nimm dich selbst oder einen jener jungen Menschen, den du im Leben begleitest. Kommt dir das bekannt vor? Als Pooh und Ferkel, denen Rabbit seinen Plan offenbart, Bedenken haben, antwortet dieser: “Tiggers never go being sad, they get over it with Astonishing Rapidity.” Kennen wir doch auch – oder? Und: “If we can make Tigger feel small and sad just for five minutes, we shall have done a good deed.” Dieser Aufgabe hat sich das Schulsystem seit jeher verschrieben. Der Plan ist also folgender: Tigger soll verloren gehen im nebeligen Hundert-Morgen-Wald. Und nun wendet sich die Geschichte zu einer hoffnungsfrohen und stärkenden Erzählung: Tigger wird zwar von den „Freunden“ unter Führung von Rabbit im Stich gelassen, nachdem er einige Zeit auf sie gewartet hat, geht er geradewegs nachhause. Rabbit und die beiden anderen aber irren hilflos im Wald herum, obwohl alle meinen, dass sie sich auf dem richtigen Weg befänden. Tigger macht sich schließlich auf die Suche nach Rabbit und findet ihn small and sorry, während er friendly, great, large, helpful and bouncing in a beautiful way ist. “Oh Tigger I am glad to see you, cried Rabbit” am Ende. Und die Moral von der Geschicht? Für mich ist einer, der seinen eigenen Weg ohne Schulsystem geht, der weisere. Bertrand Stern hat mir in unserem Gespräch für Radio Orange gesagt, dass jeneR, die/der sich auf’s Schulsystem eingelassen hat, unweigerlich verloren ist. Verirrt im Nebel, sagt die Geschichte. Also gilt es so früh wie möglich, am besten gleich von Anfang an, andere Wege zu suchen. Gehen wir gemeinsam Schritt für Schritt und finden wir das, was uns Bildung wirklich erfahren lässt und was uns und die jungen Menschen in unserer Begleitung wachsen, werden und vor allem sein lässt. Damit "verändern" wir das Schulsystem nachhaltiger und "endgültiger" als mit dem Herumdoktern von innen. |
Michael Karjalainen-Dräger
diplomierter Pädagoge und Bachelor of Education war 10 Jahre im öffentlichen Schulwesen in Wien als Lehrer tätig, danach 3 Jahre lang Leiter einer von ihm gegründeten "freien" Schule in Niederösterreich. Seit 2013 trainiert er Menschen, die jungen Menschen freie Bildungs-Räume öffnen wollen. Kategorien
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March 2020
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