Nun haben wir den Salat!
Der österreichische Nationalrat hat in der Vorwoche die sogenannte Ausbildungspflicht beschlossen. Da es sich um eine Verfassungsbestimmung handelt, musste diese Entscheidung mit Zwei-Drittel-Mehrheit gefällt werden. Die Regierungsparteien holten dafür die Grünen mit einem fragwürdigen Deal ins Boot, das kennen wir ja schon aus anderen Bereichen. In der Sache allerdings waren sich die drei Fraktionen grundsätzlich einig: die Verlängerung der "Verschulung" um zumindest 3 Jahre bis zum 18. Lebensjahr eines jungen Menschen. Was in der Diskussion davor so bedenklich war, ist die unhaltbare Verwechslung von Recht und Pflicht. Da jubelten sogar die Kinder- und Jugendanwaltschaften Österreichs über diese Maßnahme, die sicherstelle, dass kein Jugendlicher verloren ginge und ausbildungslos von Anfang an arbeitslos wäre. Sie forderten mit den Worten, dass es ein (Kinder- bzw. Menschen-)Recht auf diese Pflicht gäbe, sogar die Einbeziehung von AsylwerberInnen. Und hier befinden wir uns im gefährlichen Sumpf des bewussten oder unbewussten, gewollten oder ungewollten, jedenfalls wirksamen Austausches zweier zwar zusammengehöriger aber nicht gegeneinander zu wechselnden und damit nicht zu verwechselnden Begriffe. Das Recht auf Bildung kann und darf niemals durch eine Bildungs- und schon gar nicht durch eine Ausbildungspflicht ersetzt (oder wie es im Schönsprech heißt: garantiert) werden. Das wäre so als ob ich ein Recht auf Frieden durch die Pflicht zum Krieg erreichen wollte oder ein Recht auf Freiheit durch die Pflicht zur Sicherheit. In diesen extremen Beispielen (die leider durchaus alltäglich sind) wird der Wahnsinn einer solchen Verwechslung deutlich. Daher gilt es weiterhin - und noch viel mehr als vorher - für ein lebenslanges, von der öffentlichen Hand finanziertes Recht auf Bildung einzustehen, um jungen Menschen eine tragfähige Lebensgrundlage zu sichern und durch gelebte Besipiele jene zu überzeugen, die meinen, mit einer Pflicht zur Ausbildung wäre dem schon Genüge getan. Auf geht's!
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Seit vergangenem Freitag sollten alle Schülerinnen und Schüler Österreichs, die eine Schule besucht haben, ihr Zeugnis in Händen halten. In diesem wird ihnen zumeist mit Ziffernnoten der Nachweis ihrer Leistungen im abgelaufenen Schuljahr präsentiert. Nicht alle werden mit der Berwertung durch ihre LehrerInnen zufrieden sein, eine nicht geringe Anzahl muss sich entweder einer Wiederholungsprüfung in den ersten Septembertagen oder gar der Wiederholung des gesamten Schuljahres stellen.
Mumpitz wie ich meine! Sowohl das eine wie auch das andere! Und nun arbeiten laut orf.at Georg Hans Neuweg, Leiter der Abteilung für Wirtschafts- und Berufspädagogik der Uni Linz, die Pädagogische Hochschule Oberösterreich und LehrerInnen im Auftrag des Bildungsministeriums an Kompetenzrastern für jedes Fach und jede Schulstufe der Sekundarstufe. Diese sollen auf einem A4-Blatt pro SchülerIn und Semester darstellen, welche Teile des Lehrplans schon beherrscht werden und wo noch Verbesserungsbedarf besteht. Solche Raster kenne ich aus meiner Tätigkeit im erwachsenengerechten Pflichtschulabschluss. Dort wird die Abschlussprüfung mittels eines solchen bewertet, ein sehr komplexes Geschehen, das Transparenz suggeriert, aber meines Erachtens keinesfalls ausgereift ist. Auf Details dieser Beurteilungsart möchte ich hier auch gar nicht eingehen. Es geht mir um die Leistungsbeurteilung an sich, die schon kritisiert wird, seit es sie gibt. Für den Forscher Neuweg ist das Problem, dass sich Lehrkräfte immer am Durchschnitt der jeweiligen Klasse orientieren und nicht an allgemeinen Durchschnitten, womit die Vergleichbarkeit von Noten nicht einmal innerhalb einer Schule gegeben scheint. Eigentlich müsste man aus meiner Sicht aber eine Bewertung am Indviduum durchführen, ob es denn etwa sein volles Potential ausgeschöpft hat oder nicht ... Absurd? Ja, wenn man es so betrachtet zeigt sich die Absurdität eines Beurteilungswesens, das niemals auch nur annährend fair und objektiv sein kann. In der Uni hat man mit den nun schon zum Prüfungsalltag gehörenden Multiple-Choice-Tests, die nach einem bestimmten Raster vom Computer ausgewertet werden, jegliche Individualität gekillt. Und nun soll es auf (Pflicht-)Schulebene auf diese Weise weiter gehen. Für mich ist das ein Anlass diesem Aburteilungswesen eine Abfuhr zu erteilen. Höre ich da schon jemanden aufheulen, ich wäre für die absolute Beliebigkeit und gegen Leistung? Dann möchte ich gleich klarstellen, dass das Erbringen von Leistungen im besten Sinne des Begiffes, den Menschen innewohnt, ihnen aber durch das Pervertieren dieser Fähigkeit durch Leistungsbeurteilung im schulischen Sinn verleidet wird. Leistungsverweigerung ist also im System begründet, das den Menschen krank gemacht hat. Aus meiner Erfahrung mit (jungen) Menschen weiß ich, dass diese in jenen Bereichen zu (auch außerordentlichen) Leistungen fähig sind, wo ihre Fähigkeiten und Talente liegen, wofür sie aus tiefstem Herzen brennen. Die Institution Schule mit ihrem Unterricht aber löscht dieses Feuer bereits in den ersten Wochen. Daher sollten wir und nicht über Noten oder Benotung unterhalten sondern über Möglichkeiten von Bildung, die es den jungen Damen und Herren ermöglicht, die oder der zu sein, die oder der sie sein wollen und daher können. Gestern erhielt ich via OTS eine Presseaussendung aus dem Bildungsministerium mit dem Titel "Hammerschmid: 'Schuljahr 2015/16 ist bald geschafft!'". Darin freut sich Sonja Hammerschmid laut ihrer Pressesprecherin Patrizia Pappacena "für die Schülerinnen und Schüler, die LehrerInnen und Lehrer, die dieses Schuljahr mit Motvation und Engegement beendet haben." Und weiter: "Nun stehen die Sommerferien vor der Tür und es kann wieder Kraft für das nächste Schuljahr getankt werden“
Dazu will ich folgendes sagen: Im ersten Satz ist für mich nicht klar, ob sich die Ministerin nur für jene freut, die motiviert und engagiert waren - und all die anderen, die meiner Wahrnehmung nach in der deutlichen Mehrheit sind, ausspart; oder ob es darum geht, dass alle in den letzten Tagen engagiert und motiviert am Ende des Schuljahres gearbeitet haben, so unter dem Motto: "Hoffentlich ist das Ganze bald vorbei." Die Sprache is a Hund'. Die Eltern, die ja von der Institution Schule kräftig zur Mitwirkung gebracht werden - sei es finanziell oder durch die Erledigung von Hausübungen für ihre Kinder oder zumindest deren Unterstützung bei diesen Aufgaben -, werden hingegen mit keinem Wort erwähnt. Die vielzitierte Schulpartnerschaft sieht anders aus. Im zweiten Satz gibt es einen klaren Arbeitsauftrag an - ja an wen? - wieder Kraft für das nächste Schuljahr zu tanken; wohl mit dem Hintergrund, dass alle wieder funktionieren mögen und auf diese Weise den Unterrichtsvollzugsanstalten noch ein langes Leben beschert ist. Das ist entlarvend. Da ist jemand gerade mal einige Wochen im Amt und bedient sich der alten Rituale und Sager. Eine Tragödie. Tragödien aber haben einen tiefen Sinn, nämlich eine Karthasis einzuleiten, die zum Wandel beitragen will. Möge die Tragödie der Institution Schule, die in den Worten der neuen Bildungsministerin deutlich wird, dazu dienen, den dringend nötigen Bildungswandel zu beschleunigen. Die ProtagonistInnen namens SchülerInnen, Eltern und LehrerInnen spielen dabei tragende Rollen. Und sie alle haben die Macht, den Wandel möglich zu machen, sind sie doch in der Mehrheit. Na dann ... schöne Ferien, also schul-freie Zeit zum Regenerieren, Reflektieren und Planen wie ab Herbst alles anders werden kann. Übrigens: Am 15.9.16 begehen wir den Tag der Bildungsfreiheit mit dem nächsten "Nie-mehr-Schule"-Aktionstag. Detailinfos demnächst an dieser Stelle! JedeR kann AktionärIn werden und damit auf die je eigene Art zum Bildungswandel beitragen. |
Michael Karjalainen-Dräger
diplomierter Pädagoge und Bachelor of Education war 10 Jahre im öffentlichen Schulwesen in Wien als Lehrer tätig, danach 3 Jahre lang Leiter einer von ihm gegründeten "freien" Schule in Niederösterreich. Seit 2013 trainiert er Menschen, die jungen Menschen freie Bildungs-Räume öffnen wollen. Kategorien
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March 2020
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