Wissenschaftsstaatssekretär Mahrer hatte bei der Präsentation der Ergebnisse der Bildungsreformkommission am 17.11. ja den einen oder anderen wunderbaren Spruch direkt aus der Marketing-Kiste auf Lager. Neben seiner Aussage, dass diese Reform "cool, nein richtig geil" sei, gebrauchte er noch das eine oder andere neu-deutsche Wort. Er sprach im Hinblick auf die notwendige Digitalisierung der Schule auch von Gamification.
Außenstehende ahnen möglicherweise gar nicht, was sich dahinter verbirgt. Der Begriff meint die Anwendung spieltypischer Elemente und Prozesse im spielfremden Kontext. Da das Spielen der Schule im wesentlichen fremd ist, geht es also auf den ersten Blick um den Einbau von spielerischen Elementen in den Unterrichtsalltag. Diesen Einbau durften wir schon in den letzten Jahren erleben, als die Volksschulklassen in ganz Österreich mit jeweils 2 PCs ausgestattet wurden, um die Heranwachsenden sozusagen an's fürs Leben wichtigste Gerät zu gewöhnen. (Die Formulierung "Gewöhnung ans Gerät" stammt übrigens aus dem Militärjargon und bezieht sich in der Regel auf Waffen). Hier wurde die Gamifizierung des Unterrichts schon mal anhand von Lernspielen erprobt. Im schulischen Rahmen sollen damit Motivation und Lernerfolg gesteigert werden, was laut ersten Erhebungen auch der Fall sein soll. Nun ist meines Erachtens der Computer für den Drill und das Einüben von genormten Inhalten - systemimmanent betrachtet - durchaus geeignet. Von außen besehen aber ist schnell klar, dass sich auf diese Weise zwar Vokabel und Formeln lernen lassen, aber keinesfalls Sprache oder Mathematik. Und was noch erschreckender ist: es lassen sich Tempo und Funktionieren trainieren, das Leben aber bleibt völlig außen vor. Ist die Institution Schule an sich schon ein Paralleluniversum so wird sie mit dem so gestalteten Einsatz des Computers nun endgültig zum virtuellen Outerspace. Ein Posting auf Facebook hat mich heute zu diesem Beitrag animiert. "Als ich ein Kind war hieß mein soziales Netzwerk 'Draußen'" stand da zu lesen. Ja, dieses Draußen hatte viel Leben, es war sozusagen die wahre Schule fürs Leben. Ob dieses Draußen nun tatsächlich in der Natur war oder einfach darußen in der (städtischen) Welt, in dem man mit FreundInnen unterwegs war, um das eine oder andere zu unternehmen oder kennenzulernen, tat wenig zur Sache. Jedenfalls fand auf diese Weise Kontakt mit anderen statt, die der Mensch als soziales Wesen so dringend notwendig hat. Die Teilnahmezahlen an Sozialen Netzwerken beweisen dieses Bedürfnis, nur entsteht daraus im Netz selten eine echte tragfähige soziale Beziehung im richtigen Leben. Ganz im Gegenteil werden die virtuellen Kontakte oft zum Beziehungskiller und das wirkliche Leben töten sie auch ab. Kein Wunder dass wir dann vor den Herausforderungen des Alltags bald kapitulieren und nach dem "Papa, der's schon richten wird", rufen. Solche Typen gibt es viele in einer solchen Welt. Und die Institution Schule bereitet auf diese Verhaltensweisen hervorragend vor. Auch ich verbringe einen Teil meiner Zeit vor dem Computer, um zu schreiben, um Sendungen zu gestalten, um dem nachzugehen, was ich tun will. Aber einen noch größeren Teil widme ich den sozialen Kontakten in meiner Familie, also meinen Kindern und meiner Frau und den Menschen, die ich im Rahmen meiner Tätigkeit treffe. Daraus ist schon die eine oder andere sehr tragfähige Beziehung entstanden, die in Freud' und Leid' mein Leben bereichert. Beschämend, dass wir den jungen Menschen gerade das vorenthalten wollen, in dem wir sie mit diesen gehäuften Ausflügen in die virtuelle Welt noch mehr auseinanderrücken und zu EinzelkämpferInnen machen. Leben - so meine nach diesen Gedanken erzielte Schulussfolgerung - findet nicht in der Institution Schule statt, daher kann sie auch nicht auf's Leben vorbereiten. Leben findet draußen statt. Auf's Leben kann auch nicht vorbereitet werden, denn es will einfach - gemeinsam mit anderen - gelebt werden. So einfach ist das! Und so erfolgversprechend!
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Das am vergangenen Dienstag von Bildungsministerin Heinisch-Hosek und Wissenschaftsstaatssekretär Mahrer „abgeklatschte“ Bildungs-Reform-Papier bietet für Bildungsinteressierte keinen Grund zur Freude.
Symptomatisch für mich war die Antwort Mahrers auf meine Frage, ob es denn aus seiner Sicht wirklich genüge, die Schule zu digitalisieren, um die jungen Menschen fit für eine Zukunft nach einer zehnjährigen Beschulung zu machen. Er verstieg sich zu den Worten, dass er diese Reform cool, nein fast geil finde (eine Aussage, die auch Schlagzeilen in der ZIB 2 vom 17.11.15 machte) um dann über die Wichtigkeit der Einbeziehung des Kindergartens in die Veränderungen der Bildungslandschaft in Österreich zu reden und den Stehsatz zu gebrauchen, dass es natürlich mehr brauche. Heiße Luft also. Diesen Eindruck wurde ich auch nicht los, als all die anderen Maßnahmen präsentiert wurden, die ich in meinem Beitrag für N21 zusammengefasst habe. Für mich persönlich hat sich einmal mehr die Erkenntnis bestätigt, dass Reformen immer bloß zu einer Verengung und damit Verschlimmerung des Systems führen, das System wird quasi noch mehr System. Aber das hat der Begriff Reform ja so an sich, der besagt, dass etwas „wieder in Form gebracht“ wird, eine Form, die seit Anbeginn besteht. Reformen können per se nie über diese Form hinausweisen. Hier also meine kurze Analyse der Reform, um mich dann wichtigerem zu widmen, nämlich dem not-wendigen Wandel unserer Bildungslandschaft. Die von mir angesprochene Verengung und damit Verschlimmerung des Systems lässt sich wirklich an allem festmachen, was da vorgetragen wurde, ich nehme einige symptomatische Punkte heraus:
Genug der Gedankenverschwendung an ein sterbendes System, das sich durch diese wohl allerletzte Reform noch das eine oder andere Jährchen am Leben halten möchte, aber letztlich zum Sterben verdammt ist. Worum es wirklich geht, ist der Blick in die Zukunft. Ab sofort müssen Bildungsbewegte Schritte einleiten, die junge Menschen fitt fürs Leben und ebendiese Zukunft zu machen. Wandel beginnt immer von unten nach oben, der Wandel von Zwangssystemen natürlich erst recht. In meiner Sendung auf Radio Orange am 18.11. haben meine Studiogäste beredet, wie das gehen könnte. Zwei Schlagworte aus dieser Diskussion scheinen mir im Zusammenhang mit einem wirklichen Wandel ganz wesentlich:
Bestens dafür eignet sich die von mir in diesem Blog schon mehrfach angesprochene Möglichkeit eines „Frei-Sich-Bildens“ mit Unterstützung von BildungswegbegleiterInnen und MentorInnen in von der öffentlichen Hand finanzierten und organisierten Bildungs-Räumen auf der Basis der Gedanken von Ivan Illich und Bertrand Stern. Diese nachfrageorientierte Form der Bildung führt in völlig neue Dimensionen, die den ganzen Menschen als Subjekt wahr- und ernstnimmt und ihm so sein je individuelles Sein zugesteht. Menschen, die sich auf diese Weise bilden, werden um Ihren Beitrag in der Gemeinschaft der Menschheit wissen und eine völlige neue Lebensweise mit Zukunft auf unserem Planeten Erde etablieren. Um diese Utopie Realität werden zu lassen, brauchen wir (junge) Menschen, die schon jetzt die Strukturen der Zwangsbeschulung mit ihren „Totes-Wissen-Prüfungen“ hinter sich lassen und sich auf ganz persönliche Bildungswege begeben. Sie brauchen Räume und Begleitung, die es umgehend zu schaffen gilt. Der für 2016 geplante „Nie-mehr-Schule“-Aktionstag wird dieses Thema tiefgreifend und auf vielen Ebenen behandeln. Ich lade alle Bildungsbewegten schon jetzt ein, Aktionäre dieser Idee zu werden und sich an vielen Orten, auf vielen Straßen aber doch gemeinsam auf den Weg zu machen, um die Zukunft der Bildung schon in unserer Gegenwart zu realisieren. Seit vielen Jahren begleite ich Menschen, die mit jungen Menschen im Leben unterwegs sind. Das sind vor allem Eltern und PädagogInnen aller Richtungen. Ich erlebe sehr oft Hilflosigkeit und Überforderung und gar nicht so selten Ohnmacht angesichts der Herausforderungen mit denen uns die Heranwachsenden konfrontieren. Mit diesen gilt es sich auseinanderzusetzen, denn sie ermöglichen uns das Wunder der Persönlichkeitsentwicklung.
Oft aber ist das Gegenteil der Fall. Da geht es ums Funktionieren in unmenschlichen Strukturen, die nicht selten gewaltvoll sind. Damit meine ich nicht körperliche Übergriffe wie die immer noch nicht aus dem erzieherischen Repertoire verschwundene „g'sunde Watsch'n“ sondern die Systeme, die wir aufgebaut haben, um die Welt in den Griff zu kriegen. Nennen möchte ich exemplarisch das System der Erwerbsarbeit und ihres Arbeitsmarktes, das Geld- und Wirtschaftssystem, das Gesundheitssystem und last but not least das Schulsystem. Ihnen allen wohnt die von mir gemeinte strukturelle Gewalt inne, weil sie Menschen scheinbar alternativlos in eine Richtung zwingt. Wer dem nicht folgt gilt nicht selten als Ver-rückter. Im positiven Sinn, der mit diesen Aussagen aber keineswegs gemeint ist, wären das jene, die nicht den Normen entsprechen wollen, die Querdenker also, die die Welt bewegen. Junge Menschen begegnen im Lauf ihres Seins mehr Menschen, die ihnen etwas vorspielen als solchen, die ihnen authentisch zeigen, was ihr Leben ausmacht. Sie erleben Menschen, die ein Rolle spielen, die nicht deren Persönlichkeit entspricht. Ich bin im Lauf meiner Arbeit viel mehr PädagogInnen und Eltern begegnet, auf deren Gesicht sich Züge abbilden, die einer Maske gleichen. Wer dahinter steckt ist nicht zu erahnen, da sich die Maskierung tief in die Seele eingebrannt hat. Diese Masken fallen zu lassen braucht einen gehörigen Leidensdruck, eine Krankheit etwa, einen Zusammenbruch des zusammengezimmerten „Lebenstraumes“ und eine daraus resultierende tiefe Krise der Persönlichkeit, in der endlich die ganze Welt in Frage gestellt wird. Nun „lernen“ junge Menschen ja nicht durch Worte und Weisheiten, seien sie auch noch so plausibel, sondern am Vorbild. Und das Stück, das sie da vorgespielt bekommen, ist lebensfeindlich. „Sei nicht du selbst“ steht da an oberster Stelle. Mache dich um Himmels Willen (womit ich auch ausdrücklich die Ideologie der Religionen einbeziehen möchte) nicht auf die Suche nach dir selbst. Lerne zu funktionieren. Lerne die passende Maske zu tragen, auch wenn sie noch so schmerzt. Das schaffst du schon. Es geht ums Überleben, leben kannst du später. Das und noch viel mehr sind die impliziten Botschaften unserer Lebensideologie. Und sie werden von denen weitergegeben, die vorgeben, das beste für die Heranwachsenden zu wollen. Das ist doppelt traurig – und es erfüllt mich mit heiligem Zorn. Mit dem konfrontiere ich alle, die junge Menschen im Leben begleiten wollen. Wer ins Sein wachsen will und im Sein werden will, muss sich dieser konstruktiven Kritik stellen und sich in die Selbstreflexion begeben. Nur mit deren Kraft können wir uns aus unseren Verwicklungen befreien. Nur aus deren Kraft ist Entwicklung möglich. Und nur auf diese Weise seiende Menschen haben das Potential, den jungen Menschen Lebens-BegleiterInnen zu sein. Wenn du dich auf diesen Weg machen willst, bist du herzlich willkommen im „Club der lebendigen Seienden“. Ich freue mich auf die Auseinandersetzung mit dir. Lass von dir hören: Mit einem E-Mail an [email protected] oder in einem Kommentar zu diesem Beitrag! Erwin Wagenhofer hat es in diesem Sommer mehrmals mehr oder weniger dirket gesagt, in der ZIB etwa aber auch im großen Interview in der August-Sendung von Nie mehr Schule auf Radio Orange: Die Bildungseliten haben bei allen großen Fragen und Herausforderungen kläglich versagt.
Wer oder was ist denn nun die so genannte „Bildungselite“? Es handelt sich per definitionem um einen Sammelbegriff für eine Gruppe in der Gesellschaft, die über viel anerkannte Bildung verfügt. In dieser Begriffsklärung steckt auch schon die Antwort auf die für viele verwunderliche Feststellung Wagenhofers. Von anerkannter Bildung ist da die Rede. Welche Bildung ist in unserer Gesellschaft anerkannt? Schulbildung und universitäre Bildung wurden zur Basis für jegliches Fortkommen auf diesem Planeten gemacht. Die Ergebnisse sind bekannt. Ich möchte hier einige wesentliche herausgreifen:
Die auf diese Weise verschulten „Bildungsgeliten“ finden keine anderen Lösungen für die großen Herausforderungen der Gegenwart als
Es wird höchste Zeit, dass wir uns das nicht länger gefallen lassen:
Die wahrhaft Gebildeten können locker auf den Status als „Bildungselite“ verzichten. Vertrauen wir also nicht länger denen, die als Bildungseliten gelten, nur weil sie ihre Schulkarriere mehr oder weniger erfolgreich abgeschlossen haben oder im richtigen „Haus“ geboren wurden. Verabschieden wir uns vom „Der Papa (Staat, Papst, …) wird’s schon richten“-Prinzip und gewinnen wir unsere Freiheit zurück, in dem wir als frei-uns-bildende Menschen unserem Verstand und unserem Herzen folgen und die Welt aus diesen alten Angeln heben und auf neue gesunde Füße stellen – und zwar im Kleinen und damit im Großen! |
Michael Karjalainen-Dräger
diplomierter Pädagoge und Bachelor of Education war 10 Jahre im öffentlichen Schulwesen in Wien als Lehrer tätig, danach 3 Jahre lang Leiter einer von ihm gegründeten "freien" Schule in Niederösterreich. Seit 2013 trainiert er Menschen, die jungen Menschen freie Bildungs-Räume öffnen wollen. Kategorien
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March 2020
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