Vor rund zehn Tagen hat der Boulevard das Thema Gewalt in den Schulen ausgeschlachtet. ÖVP-Sicherheitssprecher Karl Mahrer, der ehemalige Landespolizeikommandant und Landespolizeivizepräsident, der seit der letzten Nationalratswahl als Parlamentarier arbeitet, hat eine diesbezügliche Anfrage an den Innenminister, der dem Koalitionspartner seiner Partei angehört, gerichtet.
Aus meiner Sicht hatte diese Anfrage genau jenen Sinn, den Boulevard zu instrumentalisieren, um die Menschen mit einem Bericht über die unhaltbaren Zustände in Österreichs Schulen zu erschrecken. Interessant erscheint mir auch der Lösungsansatz Mahrers, der zur Prävention verpflichtende Anti-Gewalt-Trainings – analog der Verkehrserziehung - durch die Polizei fordert. Dieser Ansatz ist leider zu kurz gegriffen, denn gewaltvoll werden hoher Wahtrschienlichkeit jene, denen Gewalt angetan wird. So hat der us-amerikanisch-österreichische Aggressionsforscher und Psychoanalytiker Friedrich Hacker festgestellt, dass Menschen, die um jeden Preis verhindern wollen, dass Kinder aggressiv werden, dies nur unter Anwendung von Gewalt tun können, was die Gewaltspirale erst recht in Gang setzt. Was ebenso nicht bedacht wird, ist, dass auch das Schulsystem in seiner Struktur gewaltvoll ist. Die deutsche Psychologin und Therapeutin Franziska Klinkigt hat dazu ein überzeugendes Buch mit dem Titel „Wer sein Kind liebt“ publiziert. Das Schulsystem in Deutschland bietet ja nicht die Möglichkeit der Anmeldung zum häuslichen Unterricht, die wir in Österreich kennen. Damit kann man sich zumindest unterm Jahr mehr oder weniger vom Schulsystem freistellen lassen, das einen aber mitunter bei der vor Schuljahresende notwendigen Externistenprüfung wieder einholt. In Deutschland herrscht sozusagen ganzjährig Schulanwesenheitszwang. In Österreich versuchen die Behörden, die mit einer wachsenden Rate an Homeschoolern konfrontiert sind, den Schulanwesenheitszwang zu erhöhen. In manchen Bundesländern werden von daher umfassende Formulare übermittelt, wenn man sein Kind zum häuslichen Unterricht abmelden will. Damit soll festgestellt werden, ob die Gleichwertigkeit des häuslichen mit dem schulischen Unterricht gegeben ist, im Zweifel werden die Eltern vom Landeschulrat zu einem klärenden Gespräch eingeladen. Zudem gibt es ab September dieses Jahres auch die verschärfte Bestrafung der Eltern von „SchulschwänzerInnen“, ohne die bisherige Möglichkeit, die Hintergründe zu klären. Wenn jemand mehr als 3 Tage unentschuldigt fehlt, werden dessen Eltern mit mindestens € 110,- bestraft. Die Schulen sind also aufgefordert, hier genaue Aufzeichnungen zu führen und im Fall anzuzeigen. Bislang galt ein Fünfstufenplan, der unter Mitwirkung aller verantwortlichen Stellen, inklusive Schulpsychologie und Jugendwohlfahrt eine Klärung der Gründe für das Fernbleiben vom Unterricht zu erheben versucht hat., was - zugegeben – meist auch nicht wirklich funktioniert hat. Diese neuen Regeln verschärfen den schon vorhandenen Druck zusätzlich und damit ebenso die ohnehin schon vorhandene Gewalt des Schulsystems. Dagegen werden auch Anti-Gewalt-Trainings an den Schulen kaum etwas ändern. Im besten Fall werden sie Menschen dazu bringen, der Gewalt, der sie ausgesetzt sind, anders und konstruktiver zu begegnen. Im schlechtesten Fall wirken sie womöglich sogar kontraproduktiv und steigern die Gewalt (siehe Friedrich Hacker). Wenn das Thema also ernsthaft gelöst werden soll, dann müssen auch die verantwortlichen PolitikerInnen über Mahrers Ansatz hinausdenken und sich auch dem systemimmanenten Terror der Schule stellen. Aus der Bildungspflicht sollte dann ein wirkliches Recht auf Bildung werden, das jedem Menschen den je eigenen Bildungsweg ermöglicht: in der Schule oder auf eine andere, individuelle Art und Weise.
0 Comments
|
Michael Karjalainen-Dräger
diplomierter Pädagoge und Bachelor of Education war 10 Jahre im öffentlichen Schulwesen in Wien als Lehrer tätig, danach 3 Jahre lang Leiter einer von ihm gegründeten "freien" Schule in Niederösterreich. Seit 2013 trainiert er Menschen, die jungen Menschen freie Bildungs-Räume öffnen wollen. Kategorien
All
Archiv
March 2020
|