Mir kommt vor, dass die alljährliche SchülerInnen-Wanderung heuer besonders früh eingesetzt hat. War es in meiner Schulzeit vor allem die letzte Woche, die zu Outdoor-Aktivitäten aller sinnvollen und sinnlosen Arten genutzt wurde, so stieg die Anzahl der Tage seither auf bis zu 3 Wochen an. In diesem Jahr scheint mir der Pegel schon bei 4 Wochen zu liegen.
Die Straßen- und U-Bahnen, aber auch die Busse sind von einer Fülle von jungen Menschen zwischen 6 und 18 bevölkert, die die diesbezüglich ohnehin sehr aktiven Kindergartengruppen in diesen Tagen ergänzen. Abgesehen vom Lärmpegel, den verzweifelt um Ruhe bemühten LehrerInnen scheint das Interesse dieser Bevölkerungsgruppe eher bei Smartphone, Computerspielen und neuesten Modetrends zu liegen, denn bei den Zielen, die es auf diesen Fahrten zu erreichen gilt. Die LehrerInnen rechtfertigen diese Jahresendtouren oftmals mit den Worten: "Der Stoff ist durch, die Prüfungen sind vorbei, was soll ma jetzt noch machen? Alle sind schon reif für die Ferien." Wenn ich solches höre, dann wird mir einmal mehr schmerzlich bewusst, dass da etwas grundlegend falsch läuft im (östereichischen) Schulsystem. Aber so sind halt Systeme - und Reformen festigen in der Regel deren Schwachpunkte, denn sie zu beseitigen. Die Schule ist also mehr denn je Labor, das mit dem Leben nichts zu tun hat. Gelernt werden soll in erster Linie Fachliches, das in vielen Stunden reingewürgt wird, um bei der sogenannten Leistungsfeststellung ausgekotzt und gleich darauf vergessen zu werden. Kompetenz sieht anders aus - obwohl das doch neurdings das Schlagwort, vor allem der Neuen Mittelschule ist. Gelernt wird, wie man Ellbogen bemüht, die Konkurrenz der Gleichaltrigen abhängt, sich durchschummelt, nicht aneckt, keine Fragen stellt und auf alles nur dann Antwort gibt, wenn man keinen Fehler befürchten muss. Arm die Gesellschaft, deren Zukunft solche Bildungskrüppel sind. Dennoch unterstützen alle Verantwortlichen (PolitikerInnen und Behörden) und zum Großteil auch noch alle Beteiligten (SchülerInnen, LehrerInnen, Eltern) diese Umtriebe, da sie davon ausgehen, dass die erfolgreiche Absolvierung dieser "Unterrichtsvollzugsanstalten" (Copyright Franz Josef Neffe) das Tor in die Berufswelt und sogar in den Einkommenshimmel weit aufmacht. Wer diesen Mythos mal genauer unter die Lupe nimmt, wird sein blaues Wunder erleben. Ein Schulabschluss und sogar der Abschluss eines Studiums garantieren weder das eine noch das andere. Zudem wird man ja jeweils auf eine Arbeitswelt vorbereitet, die dann, wenn man soweit ist, gar nicht merh existiert. Das Curriculum und seine Umsetzung hinken zumindest einige Jahre nach. Die alljährlichen SchülerInnenwanderungen sind da bloß ein weiteres Symptom der todkranken Institution Schule, die sich von der Grundbedeutung ihres Namens (scholé - griech. Muße) schon galaxienweit entfernt hat. Da lobe ich all jene, die den Ausbruch aus dieser Schule schon gewagt haben und die wissen, dass die Verknüpfung von Bildung und Schule eine unzulässige Kausalität darstellt - wie das der freischaffende Philosoph Bertrand Stern so treffend formuliert.
2 Comments
7/7/2016 10:33:40
Sehr treffend auf den Punkt gebracht.
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Michael Karjalainen-Dräger
7/7/2016 17:03:56
Freut mich, dass du das so siehst. Ich pflichte dir bezüglich Religionen bei. In beiden Fällen fehlt das Lebendige.
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Michael Karjalainen-Dräger
diplomierter Pädagoge und Bachelor of Education war 10 Jahre im öffentlichen Schulwesen in Wien als Lehrer tätig, danach 3 Jahre lang Leiter einer von ihm gegründeten "freien" Schule in Niederösterreich. Seit 2013 trainiert er Menschen, die jungen Menschen freie Bildungs-Räume öffnen wollen. Kategorien
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March 2020
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