Gerade eben begegnete ich einer jungen Dame, um die – geschätzt - 18 Monate alt, die mit Begeisterung vor ihrem Buggy und ihrer Mutter herlief, den linken Arm und den linken Zeigefinger ausgestreckt, immer wieder „Mama“ und etwas mir nicht Verständliches rufend. Die Mutter drängte von hinten mit dem Buggy und sagte in ruppigem Befehlston, ohne auf ihre Tochter näher einzugehen – „Geh‘ weiter!“. Die Kleine ließ sich aber nichts von ihrer Begeisterung nehmen und machte munter weiter. Wie die Sache ausging, weiß ich nicht, da ich rechts abbog und mich treppauf zum Bahnsteig, von dem mein Zug in Kürze abfahren sollte, begab.
Begeisterung – ein Schlüsselbegriff im Bildungsgeschehen, eine wesentliche Grundlage des Lernens, des natürlichen Lernens wohlgemerkt. Das, was die meisten Menschen unter Lernen verstehen, ist das schulische Lernen, eine unheilvolle Quälerei für alle Beteiligten, die zu manchem führt, nicht aber zu gebildeten, selbstverantwortlichen, klugen Menschen. Darum wird dem sogenannten lebenslangen Lernen wohl von den meisten auch mit so viel Skepsis begegnet ähnelt es doch gefühlt eher einer lebenslangen Haft, denn einer lebendigen Befreiung durch Bildung. Weder Eltern noch die Gesellschaft haben Lust auf begeisterte Gebildete, die noch dazu ihr eigenes Ding durchziehen. Und genauso werden dann die Jüngsten auch von Anfang an dressiert – siehe die zunehmende Verschulung der elementaren Bildungseinrichtungen wie Kindergruppen und Kindergärten - , um sie zu Normalen zu machen, die aber letzten Endes ver-rückt sind, weil sie ob des Zwanges zum Funktionieren ihre eigene Mitte verloren haben. Doch so bewältigt man Herausforderungen der Gegenwart und der Zukunft nicht, wie auch schon Albert Einstein wusste, dem der wundervolle Satz zugeschrieben wird, dass man Probleme nicht auf jener Bewusstseinsstufe zu lösen im Stande ist, auf der sie entstanden sind. Wie wohltuend ist es daher, auf den Gedanken von Menschen wie André Stern zu fliegen, der erlebt, erfahren und am eigenen Leib erkannt hat, dass es nur diesen Weg zum ganzen Menschen gibt: nämlich den eigenen Interessen zu folgen und der eigenen Entfaltung Raum zu geben. Junge Menschen wissen von Geburt an, wo’s lang geht. Es gilt ihnen zu folgen und da zu sein, wenn sie auf ihrem Weg Unterstützung brauchen. Das – und nichts anderes – ist die Aufgabe von Eltern und PädagogInnen. Und alle, die sich darauf als Erwachsene einlassen, werden reich belohnt. Try it – und du wirst niemals mehr zurück zu den ausgetretenen Pfaden der allgegenwärtigen Erziehung und Ausbildung zurückkehren wollen. Und da es nie zu spät ist, lässt sich ein solcher Weg auch als Erwachsener beschreiten. Auch hier gilt es, den Versuch zu wagen. Aus eigener Erfahrung (mit meinem Sohn und mir selbst) weiß ich, dass dies zu ganzheitlicher Bildung mit Herz und Hirn, also zum ganzen Menschsein, führt. Auf diese Weise bekommst du deinen Platz in der Gesellschaft, an dem du mit deinen Fähigkeiten am besten für die Gemeinschaft wirken kannst. Also: Unterstützen wir jene Menschen, die der Begeisterung Raum geben und auf diese Weise zum Gelingen unseres Gemeinwesens beitragen, anstatt sie mit noch rigideren Regeln und Normen zu unterdrücken. Denn nur auf diese Weise hat auch die Menschheit Zukunft.
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Michael Karjalainen-Dräger
diplomierter Pädagoge und Bachelor of Education war 10 Jahre im öffentlichen Schulwesen in Wien als Lehrer tätig, danach 3 Jahre lang Leiter einer von ihm gegründeten "freien" Schule in Niederösterreich. Seit 2013 trainiert er Menschen, die jungen Menschen freie Bildungs-Räume öffnen wollen. Kategorien
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March 2020
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