Österreich hat nicht nur einen neuen Bundeskanzler sondern gleichzeitig auch eine neue SPÖ-Bildungsministerin bekommen. Sie wird sich ausschließlich um Schule kümmern, die Frauenagenden, die ihre Vorgängerin innehatte, wird sie an die Gesundheitsministerin abgeben, die Universitäten sind weiterhin im Wissenschaftsministerium angesiedelt, das der Koalitionspartner ÖVP in personam von Vizekanzler Mitterlehner besetzt. Alles wie gehabt also im österreichischen Bildungssystem.
Gemäß der Vorgabe, dass die SPÖ in Schulfragen ideologisch immer die Ganztags- und Gesamtschule vertreten hat - während die ÖVP für die Differenzierung in Haupt- bzw. Mittelschule (ob kooperativ oder neu) und Gymnasium ab dem 10. Lebensjahr einsetzt -, hat die ehemalige Vorsitzende der Österreichischen RektorInnen-Konferenz, die davor selbst Rektorin der Veterinärmedizinischen Universität war, in einer ihrer ersten Stellungnahmen gleich ein Plädoyer für die verschränkte Ganztagsschule gehalten. Diese bietet den ganzen Schultag über einen Wechsel von Phasen von Unterricht und Freizeit. Das ist für die ÖVP ein im wahrsten Sinne des Wortes rotes Tuch, plädiert sie doch für eine dem Vormittagsunterricht folgende Nachmittagsbetreuung, in der Hausübungen gemacht und Freizeitaktivitäten angeboten werden. Dies dürfte aber auch eine Ansage mit Kalkül sein, ist doch der designierte SPÖ-Vorsitzende Bundeskanzler Christian Kern mit dem Ziel angetreten, dass Profil der Sozialdemokraten zu schärfen. In Bildungsfragen aber mag das kontraproduktiv sein, weil hier, wenn Differenzierung ernst genommen werden wird, eine Fülle von individuellen Bildungsangeboten und -wegen möglich sein sollte. Jene, die ihren Weg außerhalb des staatlichen Schulsystems gehen wollen - ob in einer freien Schule ohne konfessionellen Hintergrund, als zum häuslichen Unterricht Abgemeldete oder als FreilernerInnen - werden vom Bildungssystem immer noch extrem benachteiligt. Das reicht von der Finanzierung der Bildung bis zur Bestrafung von Eltern, die das Nein ihrer Söhne und Töchter ernts nehmen und diese nicht zur Schule schicken, wegen Schulpflichtverletzung. Ein öffentlicher Schulplatz kostet laut OECE-Berechnungen in Österreich zwischen acht- und zwölftausend Euro (im Sonderschulbereich sogar bis zu 35.000 Euro) pro SchülerIn und Jahr. Freie Schulen erhalten pro SchülerIn derzeit knapp 750 Euro im Jahr, Menschen, die frei sich bilden, keinen Cent. Die öffentliche Hand erspart sich diesen Betrag einfach und sanktioniert damit hinterrücks jene, die sich um wirklich qualitative und differenzierte Bildung für ihren Nachwuchs bemühen. Dieser Missstand sollte als einer der wichtigsten Punkte auf der Agenda der neuen Bildungsministerin stehen. Sonst verdiente sie ihren Namen nicht und sollte sich schlicht Unterrichts- oder Schulministerin nennen. Mit dem Begriff Bildung haben Schule und Unterricht nämlich in Zeiten wie diesen nämlich - wenn überhaupt - nur marginal zu tun.
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Michael Karjalainen-Dräger
diplomierter Pädagoge und Bachelor of Education war 10 Jahre im öffentlichen Schulwesen in Wien als Lehrer tätig, danach 3 Jahre lang Leiter einer von ihm gegründeten "freien" Schule in Niederösterreich. Seit 2013 trainiert er Menschen, die jungen Menschen freie Bildungs-Räume öffnen wollen. Kategorien
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March 2020
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