ls gewichtiges Argument für die Schule und gegen jegliche individuelle Alternative, die nicht tagtäglich in der Gemeinschaft Gleichaltriger stattfindet, wird von den meisten Bildungsverantwortlichen, aber auch sehr vielen Eltern, das für die Gesellschaft so nötige soziale Lernen der Heranwachsenden genannt. So hat auch Sibylle Hamann, die Bildungssprecherin der Grünen, im ausführlichen Gespräch mit mir betont, wie wichtig es sein, auch mit Menschen, die man sonst nie getroffen hätte, in Kontakt bzw. mit ihnen klar zu kommen.
Beim genaueren Hinschauen verliert diese Argumentation aus meiner Sicht aber enorm an Gewicht. Schüler*innen werden in der Schule (mit Ausnahme der Mehrstufenklassen im Volksschulbereich) in Klassen mit Gleichaltrigen gesteckt, die Anzahl der auf diese Weise gemeinsam Unterrichteten beträgt im Schnitt 25. Die Kommunikation untereinander beschränkt sich auf das Fachliche oder gar nur auf die Pause. Für soziale Konflikte in einer so großen Gruppe gibt es maximal eine Klassenvorstandsstunde oder eine Stunde „Soziales Lernen“ in der Woche. Die vom System vorgegebene Notwendigkeit der Leistungsfeststellung und Leistungsbeurteilung, also von Prüfungen, Tests, Schularbeiten und Schulnoten, die jede*r einzeln zu absolvieren hat, stärken das Konkurrenzverhalten zu Lasten der Kooperation. Asoziales Lernen also statt Sozialem Lernen. Hier werden die Grundregeln der Gruppendynamik missachtet, es besteht durch die Altershomogenität, also Gleichaltrigkeit kaum eine Möglichkeit sich voneinander abzuheben, als durch bessere Noten. Die Schule hätte Möglichkeiten, hier neue Ansätze zu bieten, kleine altersheterogene Gruppen mit 8-12 Schüler*innen beispielsweise, Kooperationsmöglichkeiten statt Einzelleistungen, flexible Gestaltung des Schulalltages mit Phasen, die man nicht im Klassenzimmer verbringt. Und die VertreterInnen des Schulsystems sollten endlich dieses Argument aufgeben, wonach in der derzeitigen Form Schule ein Ort des sozialen Lernens ist. Beispiele von jungen Menschen, die im häuslichen Unterricht begleitet werden, zeigen, dass die keinerlei Probleme im Zusammensein mit anderen Menschen jeglichen Alters haben. Sie haben erfahren, was Achtsamkeit und Respekt ist, wie wichtig es ist, auf Bedürfnisse zu achten, die eigenen und die fremden und sind dadurch selbstverständlich in der Lage genauso diese Qualitäten auch in ihrem Leben sich selbst und den anderen gegenüber einzusetzen. Den Befürworter*innen des jetzigen Systems geht damit ein „Totschlagargument“ endgültig verloren. Besinnen wir uns lieber auf konstruktive Lösungen für eine gute Schule von morgen – und setzen wir endlich Maßnahmen, dass es neben der Schule auch legale individuelle Bildungswege geben darf.
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Michael Karjalainen-Dräger
diplomierter Pädagoge und Bachelor of Education war 10 Jahre im öffentlichen Schulwesen in Wien als Lehrer tätig, danach 3 Jahre lang Leiter einer von ihm gegründeten "freien" Schule in Niederösterreich. Seit 2013 trainiert er Menschen, die jungen Menschen freie Bildungs-Räume öffnen wollen. Kategorien
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March 2020
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