Meine Gedanken zum Schulbeginn
Von A. A. Milne gibt es das wunderbare Buch Winnie-the-Pooh, das vor knapp 90 Jahren zum ersten Mal erschienen ist. Es ist in seinem Original sprachlich und inhaltlich von der vom Disney-Konzern verhunzten filmischen Umsetzung (natürlich als „kindgerechter“ Zeichentrickfilm) meilenweit entfernt – und eine deutsche Lektüre lohnt sich in der Übersetzung den genialen Harry Rohwolt. Den in der Überschrift zitierten Titel des 7. Kapitels im 2.Teil übersetzt er „…in dem Tigger gestüm gemacht wird“. Im Gegensatz zu seiner ungestümen Art soll Tigger also auf Betreiben von Rabbit eine Lektion erteilt werden („It’s time we taught him a lesson!“), um endlich gestüm, also angepasst zu sein. Wer denkt da nicht an die Schule, in der die Stunden genau jene Ziele verfolgen: „…to get the bounces out of tigger“, „There’s too much of him” – er muss klein gemacht werden, dass „he’ll be a different Tigger altogether … he’ll be a humble, sad, melancholic, small and sorry Tigger, an Oh-Rabbit-I-am-glad-to-see-you Tigger”. Setz’ jetzt statt Rabbit einfach Schule ein – und nimm dich selbst oder einen jener jungen Menschen, den du im Leben begleitest. Kommt dir das bekannt vor? Als Pooh und Ferkel, denen Rabbit seinen Plan offenbart, Bedenken haben, antwortet dieser: “Tiggers never go being sad, they get over it with Astonishing Rapidity.” Kennen wir doch auch – oder? Und: “If we can make Tigger feel small and sad just for five minutes, we shall have done a good deed.” Dieser Aufgabe hat sich das Schulsystem seit jeher verschrieben. Der Plan ist also folgender: Tigger soll verloren gehen im nebeligen Hundert-Morgen-Wald. Und nun wendet sich die Geschichte zu einer hoffnungsfrohen und stärkenden Erzählung: Tigger wird zwar von den „Freunden“ unter Führung von Rabbit im Stich gelassen, nachdem er einige Zeit auf sie gewartet hat, geht er geradewegs nachhause. Rabbit und die beiden anderen aber irren hilflos im Wald herum, obwohl alle meinen, dass sie sich auf dem richtigen Weg befänden. Tigger macht sich schließlich auf die Suche nach Rabbit und findet ihn small and sorry, während er friendly, great, large, helpful and bouncing in a beautiful way ist. “Oh Tigger I am glad to see you, cried Rabbit” am Ende. Und die Moral von der Geschicht? Für mich ist einer, der seinen eigenen Weg ohne Schulsystem geht, der weisere. Bertrand Stern hat mir in unserem Gespräch für Radio Orange gesagt, dass jeneR, die/der sich auf’s Schulsystem eingelassen hat, unweigerlich verloren ist. Verirrt im Nebel, sagt die Geschichte. Also gilt es so früh wie möglich, am besten gleich von Anfang an, andere Wege zu suchen. Gehen wir gemeinsam Schritt für Schritt und finden wir das, was uns Bildung wirklich erfahren lässt und was uns und die jungen Menschen in unserer Begleitung wachsen, werden und vor allem sein lässt. Damit "verändern" wir das Schulsystem nachhaltiger und "endgültiger" als mit dem Herumdoktern von innen.
7 Comments
Eckhard Fuhrmann
5/9/2015 20:01:03
Schön -- wenn man sich's leisten kann.
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Michael Karjalainen-Dräger
6/9/2015 12:53:28
Ich kann Ihre Situation sehr gut verstehen, wir haben 3 Jungs, die wir im Leben begleiten, einer (9) geht in die Regelschule, der zweite (11) hat grade seine Grundschulzeit in der Regelschule hinter sich, er startet morgen in eine private Mittelschule, die wir uns leisten müssen. Unser 4-jähriger hat noch 2 Jahre Zeit und er soll keineswegs in die Schule müssen. Meine persönliche Erfahrung als Lehrer (der ich zwischen meinem 31. und 44. Lebensjahr war) und Vater hat die Entscheidung in mir reifen lassen, dass es Alternativen zu diesem Schulsystem und seinem Unterricht geben muss. Freie Schulen sind eine Möglichkeit. Die werden ja bekanntlich von der öffentlichen Hand nur finanziert, wenn sie konfessionellen Background haben (also von einer der anerkannten Religionsgemeinschaften geführt werden). Ich gebe Ihnen auch Recht, dass eine freie Bildung derzeit eine Frage der Finanzierung ist. Nun machen wir mal den ersten Schritt, Alternativen aufzuzeigen. Das Frei-sich-Bilden hat aber nichts mit Homeschooling zu tun und damit, dass von nun an die Eltern die "Beschulung" des Nachwuchses übernehmen. Es geht um die Schaffung eines Netzwerkes von Bildungs-Räumen und Personen, die den Wissbegierigen das vermitteln, was sie wissen wollen. Da braucht man dann auch keine Prüfungen mehr. Und das alles stellt die öffentliche Hand den (jungen) Menschen zur Verfügung, weil es ein Recht auf Bildung gibt statt eine Unterrichts-(Österreich) oder gar Schulpflicht (wie in Deutschland). Das ist die langfristige Vision. Ein erster Schritt ist die Bewusstmachung und das Ausloten von Möglichkeiten, die jetzt schon bestehen bzw. die zu schaffen sind, damit Menschen, die den Weg jetzt schon gehen wollen, das auch tun können. Hier gilt es natürlich auch politisch einiges zu tun. Deshalb habe ich die Initiative gegründet. Freue mich, wenn Sie dabei sind - auch durch Ihr kritisches Feedback und Ihre Gedanken und Anregungen hier im Blog oder an mich persönlich unter [email protected].
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Eckhard Fuhrmann
6/9/2015 18:43:30
Konkret wäre das beste politische Mittel gegen die Misere ja ein "Bildungsscheck", der garantiert, dass jede Schule gleich viel Geld für jede/n Schüler/in bekommt. Damit wäre der Weg geebnet für echte Wahlfreiheit im Bildungssystem, und für einen sinnvollen Wettbewerb unter Schulformen. (Derzeit ist die Angebotsbreite ja selbst unter Berücksichtigung aller Alternativschulen noch recht begrenzt -- es gibt die Regelschule, religiöse Schulen und diverse Alternativanbieter, die größtenteils auf esoterischen Konzepten aufbauen. Auch angebotsseitig gibt es also noch viel zu tun! 6/9/2015 11:28:18
Ja, ich halte es auch für total wichtig diese Alternativen aufzuzeigen. Und ja, der Zeit ist es noch immer so, dass die Alternativen Geld kosten. Ich bin mit meinen Kindern in vielen Alternativen gewesen und habe hier nur gute Erfahrung gemacht, wenn es bei mir oder anderen Familien zu finanziellen Engpässen gekommen ist, ist alternative Schule immer extrem hilfreich gewesen. Die Kinder und deren Sicherheitsbedürfnis stand im Vordergrund. Wenn jemand wirklich, wirklich einen anderen Weg gehen will, dann helfen viele Alternativ Schulen. Gerade gestern hat mir wieder eine Mutter erzählt, dass Schule in Finanzdingen toll gehandelt hat... Ich erzähle deshalb auch gerne die positiven Geschichten, denn es gibt sie....
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Michael Karjalainen-Dräger
6/9/2015 12:52:35
Danke, Uta Heinrich! Jederzeit gern mehr von diesen postiven Geschichten hier oder direkt an mich unter [email protected] oder auch mal auf Radio Orange!
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Michael Karjalainen-Dräger
15/9/2015 10:06:33
Ruf mich mal am Redaktionstelefon an, dann machen wir uns ein Treffen aus und finden gemeinsam die passende von den vielen Möglichkeiten ... 0650 766 1790.
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Michael Karjalainen-Dräger
diplomierter Pädagoge und Bachelor of Education war 10 Jahre im öffentlichen Schulwesen in Wien als Lehrer tätig, danach 3 Jahre lang Leiter einer von ihm gegründeten "freien" Schule in Niederösterreich. Seit 2013 trainiert er Menschen, die jungen Menschen freie Bildungs-Räume öffnen wollen. Kategorien
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