Gerade sind meine Frau und ich eingetaucht in die Geschichten der Familien Kupfer und Hausmann, die in der Fernsehserie Weissensee als ProtagonistInnen für ein Leben in der DDR vor und nach dem Mauerfall stehen. Die einen, als erklärte AntifaschistInnen verbunden mit der sozialistischen Gründungsidee, die anderen als VertreterInnen eines immer totalitärer werdenden Systems, das seine eigene Philosophie zunehmend verrät. Da passiert neben all den politischen und kriminellen Handlungssträngen auch viel persönliches Drama, alles hervorragend dargestellt von einem grandiosen SchauspielerInnen-Ensemble, möchte ich an dieser Stelle nicht berichten. Es gilt sich selbst ein Bild zu machen.
Was mich aber zutiefst betroffen gemacht hat, ist die Tatsache, dass die im Film dargestellten Strukturen eines Staates jederzeit und überall vorkommen können, auch in den sogenannten Demokratien, die sowohl dem Faschismus als auch dem Kommunismus abgeschworen haben. Die DDR ist überall, vor allem in den Köpfen und Herzen der Menschen, die sich nach Recht und Ordnung sehnen.Immer geht das alles einher mit Kontrolle, dem Gefühl, alles im Griff haben zu müssen, der Feindschaft gegenüber allem, was kreativ und phantasievoll ist und daher nicht den Konventionen entspricht. Bertrand Stern, der freischaffende deutsche Philosoph und Sohn des pädagogischen Vordenkers Arno Stern, hat das Schulsystem (in Deutschland) mit dem politischen System in der DDR verglichen und die strukturelle Gewalt der „Beschulungsideologie“ kritisiert. Immerhin bereitet die Schule den Boden für die Gesellschaft der Zukunft und als solches ist es demnach – auch in Österreich - denkbar ungeeignet, Menschen hervorzubringen, die zu Großem fähig sind und die Herausforderungen der Zeit annehmen und bessere Lösungen entwickeln, als sie heute vorhanden sind. Dieser kleine Kontrolleur in den Köpfen so vieler Menschen, lässt deren Herzen schnell erkalten. Daher gilt es dem Wilden und Ungezähmten im Sein vor allem junger Menschen, einen guten Boden zu bereiten, denn dort liegt die Kraft der Veränderung der Welt fern von faschistischen oder kommunistischen Regimen. Die Anarchie, die darin steckt, wird viel zu oft gefürchtet, obwohl sie in ihrer Grundbedeutung vom griechischen an-archia, einer Verneinung von „archia“ (Herrschaft) stammt, was vielfach mit Herrschaftslosigkeit übersetzt wird. Ursprünglich wurden damit Menschen bezeichnet, die ohne Anführer lebten, Gruppen, in denen kein Alleinherrscher regierte sondern ein Miteinander herrschte. Mit Macchiavelli aber war – meiner Recherche nach - dann der Bedeutungswandel und die damit verbundene Abwertung des Begriffes eingeleitet. Auch jene, die aus der An-Archia einen neuen „-ismus“ kreierten, trugen einen großen Teil dazu bei, dass heute landläufig ein zu (be-)fürchtender Zustand damit verbunden wird, der die Gesellschaft, ja die ganze Welt ins Chaos stürzte. Die andere, lebensspendende Ordnung der An-Archia erkennt kaum eine/r. Nun, wenn ich entscheiden müsste und könnte, wo ich lieber leben würde, dann wählte ich freien Herzens die An-Archia in ihrer ursprünglichen Form. Ich traute Menschen auch diese positive Kraft zu, ich mutete ihnen dieses Miteinander ohne Führer zu, weil es zutiefst menschlich ist, verankert im Herzen und fähig den Kopf zu erreichen, um etwas Gutes daraus zu formen. Im Kleinen zuerst und dann im Großen. Nachsatz: Auch jene, die sich auf den Weg des Selbst-Sich-Bildens machen, tragen die An-Archia in ihren Herzen. Womit sich einmal mehr zeigt, wie wichtig die Ermöglichung individueller Bildungswege mit entsprechenden Beg-Leitung ist, um den zahlreichen „Ismen“ vorzubeugen. ein Beitrag von M.A. Karjalainen
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Es ist erst 50 Jahre her, dass der Baptistenprediger Martin Luther King, der durch den improvisierten Teil seiner Rede am 28.8.1963 in Washington mit den mehrmals wiederholten Worten „I have a dream“ in die Geschichtsbücher eingegangen ist, ermordet wurde.
Es ist schon 50 Jahre her, dass Martin Luther King am 4.4.1968 in Memphis unter bis heute nicht restlos geklärten Umständen erschossen wurde, und dennoch ist seine Vision großteils Utopie geblieben, nicht bloß in den USA. Nach seinem gewaltsamen Tod bekamen vor allem die radikalen Kräfte in seiner Bürgerrechtsbewegung zur Gleichstellung aller Menschen Auftrieb, es gab zahlreiche Unruhen mit Dutzenden Toten. Dabei waren Kings Bemühungen eines gewaltlosen Widerstands durchaus erfolgreich gewesen, aber gut Ding braucht eben Weile – und die gestehen viele der Sache eben nicht zu. Wenn ich mir die Welt von heute anschaue, dann ist sie nach wie vor geprägt von Vorurteilen und Stereotypen. Das, was per se nicht übel ist, wird es dann, wenn jemand nicht in der Lage ist, seine erste Sichtweise zu revidieren. Diese sture Haltung tritt aus meiner Erfahrung bei jenen besonders stark auf, die sich ihrer selbst nicht sicher sind. „Wer nicht weiß, wie er heißt, wer nicht weiß, wer er ist, der ist dumm. Bumm.“, ruft der Frosch dem Ich-bin-Ich entgegen, das zu diesem Zeitpunkt noch ein buntes Tier, ein Irgendwer ist. Mit seiner kindlichen Neugier allerdings macht es sich auf die Suche nach der eigenen Identität, findet immer etwas und jemanden, das bzw. der ihm ähnlich ist. Einem Gleichen aber begegnet es nicht, Doch wie gehen dem unbekannten Wesen am Ende die Augen auf, als es sich im Spiegel einer Seifenblase erstmals wirklich erkennt. So selbstbewusst begegnet es am Ende abermals dem Frosch, der nun nicht anders kann als zu rufen: „Wer nicht weiß, wer du bist, wer nicht weiß, wie du heißt, der ist dumm. Bumm.“ Für mich ist es daher die erste Aufgabe aller, die junge Menschen im Leben begleiten, diesen die Möglichkeit des Sich-Selbst-Erkennens zu geben. Dann wird aus der Fülle der Vielfalt niemals eine Bedrohung werden, sondern immer eine Bereicherung. Das Schulsystem unserer Tage ignoriert diesen Umstand völlig. Geht ja auch nicht anders, denn unter den Bedingungen die Normierung und Anpassung fordern, lässt sich Individuelles nicht leben. Und dort wo bis zu 30 Gleichaltrige auf engstem Raum nach einem strengen Stundenplan, der einem noch strengeren Curriculum geschuldet ist, ihre Tage fristen, wird wohl so etwas wie Zugehörigkeit und Gemeinschaftsgefühl eher selten aufkommen, auch nicht unter „Gleichen“. Daher gilt es, dass alle Beteiligten – aus meiner Sicht sind das SchülerInnen, Eltern, LehrerInnen, die zuständigen BeamtInnen und die PolitikerInnen – Wege aus dem System herausfinden, um wahre Bildung möglich zu machen. Und es gilt denen, die schon individuelle Wege gehen, endlich die Berechtigung zu geben, sich auf legale Weise selbst zu bilden. Und damit da kein Missverständnis aufkommt: Sich-selbst-Bilden meint nicht, einen jungen Menschen alleine zu lassen, sondern ihm all das zur Verfügung zu stellen, was er/sie braucht, um seinen/ihren Bildungsimpulsen nachgehen zu können, um Antworten auf seine/ihre Fragen zu finden. Wir leben glücklicherweise in einer Gesellschaft, in der niemand zur Schule gehen muss, weil er/sie sonst von Kinderarbeit, Ausbeutung oder Armut bedroht ist. Wir sollten es uns endlich leisten, den Weg frei zu machen, für ein wirkliches Recht auf Bildung, das jeder und jedem ermöglicht, den eigenen Bildungsweg frei zu wählen – in der Schule oder auf eine andere, individuelle Weise. Auch davon würde das Schulsystem letztlich profitieren. So bleibt für mich – 55 Jahre nach Kings großer Rede – sein „I have a dream“ auch für die Bildung junger Menschen höchst stimmig und relevant. Am vergangenen Dienstag hat sich die vielgepriesene Prof.in Dr.in Martina Leibovici-Mühlberger, die zuletzt mit ihren Ratgebern zu den „Tyrannenkindern“ in der Öffentlichkeit präsent war, in der Sendung „Willkommen Österreich“ im österreichischen Fernsehen im Hinblick auf das Kindsein geoutet. Sie hat die Kinder als „unfertige Organismen“ bezeichnet.
Nun mag der Kontext zu ihrer Aussage beigetragen haben. Wenn man neben Paulus Manker, der für seine geschliffenen wie zynischen Aussagen bekannt ist, sitzt und von Christoph Grissemann und Dirk Stermann in die Mangel eines Fragenstakkatos, das keine Antworten erwartet, genommen wird, kann einem schon der eine oder andere Fauxpas auch in Form von unüberlegten Formulierungen passieren, vor allem, wenn man punkten will. Dennoch sind für mich die Begriffe unfertig und Organismus in sogenannten Erziehungsfragen very old school. Sie verleugnen das Subjektsein jedes Menschen von Geburt bis zum Tod. Sie bringen junge Menschen in die Lage, nicht fertig zu sein und etwas werden zu müssen. Beides führt zur bis heute vorherrschenden unsäglichen Ignoranz der Gleichwürdigkeit des Heranwachsenden mit dem als érwachsen bezeichneten Menschen. Diese Sichtweise muss – auch und vor allem bei jenen, die sich professionell mit jungen Menschen beschäftigen – schleunigst Vergangenheit sein. Punktum. Jeden Morgen wieder. Im Winter dunkel. Kalt. Das Frühstück schmeckt nicht, noch dazu findet es unter Zeitdruck statt, weil das Aufstehen knapp nach 6 Uhr morgens so schwer fällt. Schwer ist auch die Tasche, in der die Arbeitsmaterialien für den Tag drinnen sind, weit über 10 Kilo in Büchern und Heften verpacktes Wissen. Dazu die Jause und eine Trinkflasche. Die Haltung, schon vorher leicht gebückt, noch ein wenig gekrümmter als er knapp vor 7 aus dem Haus schleicht. Eine Junge eben, meinen seine Eltern, vorpubertär, also eigentlich nicht schulkompatibel. Da müssen wir durch. Schulbus um 7.02, nach neunzehn Minuten ist er in der Stadt, wo es um 7.45 Uhr losgeht, fünf oder sechs Stunden lang, montags sogar acht wegen Mathe-Fördern. Heimkehr dann meist gegen 14 Uhr, am Montag erst um 16 Uhr. Das Mittagessen schon kalt. Der Hunger nicht mehr vorhanden. Glücklicherweise haben die KollegInnen immer etwas Süßes oder Salziges mit, damit das Leben ein wenig fröhlicher wird. Glücklicherweise rennt auch ein guter Schmäh, damit die Tage nicht so düster sind. Glücklicherweise gibt es auch die eine oder den anderen Lehrende/n, die/den man gut verarschen kann. Unbewusste Auflehnung gegen ein System, das niederdrückt, dem man auf diese Weise ein bisschen etwas zurückgeben kann von seiner Entmenschlichung.
Der Nachmittag, eigentlich voll mit Hausübungen, Prüfungs- und Schularbeitsvorbereitungen führt in die Welten von Musik und Survivor Dogs. Die mahnenden Worte der Eltern: Noch einmal abgeblockt, noch einmal den Ärger verschoben. Und: Vielleicht ist das Glück doch auf seiner Seite und es geht sich die Vier aus, die das Mindestmaß ist. Mehr muss es nicht sein, sagt die Mutter. Es darf schon ein bisserl mehr sein, der Vater. Ab und zu gelingt es auch, die Zeit in der Stadt zu verlängern, im Jugendtreff, wo man auch Hausübungen machen kann, aber nicht muss. Wo man aber eine ganze Menge Möglichkeiten hat, sich vom Leben abzulenken, von diesem Leben aus Pflicht und Takt und Interesselosigkeit. Kein Platz für ihn. Aber so ist das eben, sagen die Eltern, auch wir haben Pflichten, auch wir dürfen nicht tun und lassen, was wir wollen. Dafür gibt’s die Wochenenden, dafür gibt’s Urlaub, dafür gibt’s die Pension. Wenn wir sie noch erleben, so der Vater manchmal sarkastisch, dann, wenn er das eine Glas zu viel getrunken hat am Wochenende. Und wenn wir es uns leisten können, nicht mehr zu arbeiten. Mutter spielt Lotto. Vater zockt manchmal im Wettcafé. Nur kleine Beträge. Aber die summieren sich auch. Davon hätten wir uns schon das neue Sofa kaufen können, so die Mutter. Und der Vater: Aber wenn ich einmal gewinne, können wir uns ein Haus kaufen mit allem Drum und Dran. Eine Welt der Pflichten entrechtet die Menschen, nimmt ihnen jedes Recht, führt sie weg vom Menschsein. Eine Welt der Rechte hingegen, verpflichtet die Menschen, um ihre Rechte erhalten zu können. Nur das ist der Weg. Doch die allgemeine Schulpflicht wurde nicht dazu gemacht, um allen Bildung zu ermöglichen. Sie ist kein Recht. Sie ist das jede/n verpflichtende Machtinstrument der Herrschenden, sich ihre Diener, ja ihre Sklaven zurecht zu modeln. Alle „gestüm“ (Zitat: Puh, der Bär, Tigger is unbounced) zu machen. Und für ihre Sache zu verwenden, am Arbeitsmarkt, beim Konsum, bis hin zum Krieg. Wenn wir aber nicht mehr mitspielten, dann … … dann sind wir draußen, fallen aus allen Sicherheiten, … dann sind wir dem Freiheitswahn auf den Leim gegangen, … dann sind wir kein Teil der Gesellschaft mehr, ja fast Staatsverweigerer. Doch wenn wir wirklich nicht mehr mitmachten, dann … … dann könnten wir in Freiheit dem nachgehen, was uns wirklich interessiert und damit alle, die in dieser Gemeinschaft leben voneinander profitieren, … dann könnten wir wirklich eigenverantwortlich, kreativ und lösungsorientiert die Gegenwart erfahren und eine lebenswerte Zukunft schaffen, … dann könnten wir gesund und furchtlos unseren Lebensaufgaben folgen und somit erfolgreiche Menschen sein. Der Junge träumt manchmal nachts von einem Leben, das ihm völlig fremd ist, von Wolken, auf denen er liegt, von Wassern, auf denen er geht, von Himmeln, in denen sein Dasein leicht und lebendig ist. Oft wacht er dann schweißgebadet auf und ist froh wieder den guten alten Boden unter den Füßen zu haben und die Sicherheit, mit denen er täglich erfährt: So ist es eben, das Leben. https://karjalainen-draeger.weebly.com/tagebuch/-0618-ent-menschlichung Die Schule hat uns wieder. Und wie. „Jubel, Trubel, Schultüte: Erster Tag für Taferlklassler“ titelt orf.at seinen Beitrag zum diesjährigen Schulbeginn für 88.500 SchulstarterInnen und berichtet über die Versüßung des ersten Tages von so genannten „Ernst des Lebens“. Ein gleichnamiges Kinderbuch berichtet von einer jungen Dame, die ahnt, dass der Ernst des Lebens wohl nichts Schönes sein könne, wenn ihn die Eltern ihr so bedeutungsschwanger nahebringen wollen. Doch dann entpuppt er sich als Junge aus ihrer Klasse, der zu ihrem Freund wird. Auch so kann man das Schulsystem und seinen Unterricht verharmlosen.
Tatsächlich frage ich mich, wie denn ein System, das sich innerhalb der Jahrhunderte seines Bestehens nicht gewandelt hat, vielmehr die gleichen Ziele in anderer, schönerer Verpackung feilbietet, den Bildungsbedürfnissen der jungen Menschen der Gegenwart gerecht werden will. Schon Albert Einstein wusste, dass sich Probleme nicht auf derselben Bewusstseinsebene lösen lassen auf der sie entstanden sind. Doch die Schulverantwortlichen wollen das noch immer nicht begreifen und doktern an Strukturreformen und didaktisch-methodischen Veränderungen herum ohne das Bildungsgeschehen auf völlig neue, zeitgemäße Beine zu stellen. Und Eltern, LehrerInnen und SchülerInnen jammern zwar mal lauter und leiser, tragen aber nichts dazu bei, das System zum Kippen zu bringen, weil sie einfach mal besser, mal schlechter mitspielen. Wenn jemand einmal wirklich auf die Bildungs-, Lern- und Entwicklungsbedürfnisse der (jungen) Menschen achtete, dann käme mal ernsthaft Bewegung in die Sache. Und diese Bewegung wäre nicht nur metaphorisch gemeint. Wie kann es sein, dass nun wieder 10 Monate anbrechen, in denen – wenn es gut geht – maximal eine Turnstunde pro Tag stattfindet, die mitunter weniger der Bewegung, sondern vielmehr den Lehrplanerfordernissen wie Leichtathletik und Geräteturnen gewidmet ist? Auch hier zeigt sich symptomatisch die Erstarrung des Schulsystems und seines Unterrichts. Wenn man in der Lage ist, einem jungen Menschen ein Jahr lang die Möglichkeit zu geben, sich selbst zu bilden und bereit ist, jederzeit und den ganzen Tag über für Fragen, Bildungswünsche und Unterstützung zur Verfügung zu stehen, dann wird einem klar, wie Bildung wirklich funktioniert. Die so genannten Kulturtechniken wie Schreiben, Lesen und Rechnen werden dann implizit erworben, wenn man seinen Interessen und Bildungsbedürfnissen nachgehen kann. Das kann die Schule der Gegenwart natürlich nicht bieten, weil so viel Individualismus ist mit diesen Strukturen nicht zu bewältigen, Differenzierung hin oder her. Aber die Bildungs-Verantwortlichen können sich endlich mal ein Herz fassen und Menschen, die junge Menschen auf ihrem individuellen Bildungsweg begleiten wollen, entsprechend unterstützen. Die sind immerhin bereit, auf die öffentliche Förderung für einen Schulplatz in der Höhe von sechs- bis zwölftausend Euro pro Jahr zu verzichten und investieren sogar noch jede Menge Zeit und Geld aus ihrer eigenen Tasche – und das alles für das Wohl des Kindes! Diese Förderung sollte sich auch finanziell niederschlagen, indem beispielsweise Bildungsangebote, die privat in Anspruch genommen werden, finanziert werden. In der Endausbaustufe eines solchen neuen Bildungssystems könnten – bei entsprechender Qualitätskontrolle (die dafür heute vorgesehenen Externistenprüfungen müssten dazu aber auf ein anderes Niveau gebracht werden) – diese Bildungs-MentorInnen dann auch für ihre Begleitung entsprechend entlohnt werden. Immerhin stehen ja auch heute schon die o.a. Kosten, die sich das öffentliche Schulsystem dadurch erspart, zur Disposition! Und dazu müsste ja die Schule nicht abgeschafft werden, denn sie mag für die eine oder den anderen weiterhin das Bildungsmittel der Wahl sein. Worauf also noch warten? Eine neue Legislaturperiode steht bevor und mit ihr die nächste Chance auf den längst fälligen Bildungswandel. Gleich zu Beginn der Ferien wurde auf orf.at unter der Schlagzeile „Eltern als Lerntrainer“ ein Artikel gepostet, der sich mit einer veritablen Misere des gegenwärtigen Schul-Unterrichts beschäftigt. Tatsächlich ist es aus meiner Erfahrung und auch aufgrund der vielen mir zugetragenen Schul-Geschichten Usus, dass Eltern für die Hausübungen ihrer Sprösslinge verantwortlich gemacht werden. Mag es zwar richtig sein, dass man ihnen die Verantwortung dafür übergibt, dass ihre Kinder ihre Hausübungen machen, so kann damit keineswegs verbunden sein, dass man auf Richtigkeit und Vollständigkeit achten muss. Letzteres aber wird sehr oft von den Unterrichtenden erwartet oder sogar gefordert. Hier handelt es sich aus meiner Sicht eindeutig um eine Retourkutsche der ebenso verkehrten Forderung zahlreicher Eltern, die Schule und deren LehrerInnen mögen die Erziehung des Nachwuchses übernehmen. Eine reflektierte Haltung sieht anders aus.
An dieser Stelle möchte ich nochmals die Sinnhaftigkeit von Hausübungen in Frage stellen, gehen sie doch von einem Lernvorgang aus, der mechanistische Grundzüge trägt. Allerdings kann ein nicht verstandener Inhalt auch durch eine Hausübung, bei der SchülerInnen nicht auf eine Fachkraft zurückgreifen können, nicht erlernt werden. Zudem gehen aktuelle Erkenntnisse der Hirnforschung davon aus, dass nur dort wirklich gelernt wird, wo Interesse da ist und wo Probleme (alleine, in Teams oder auch mit Unterstützung) gelöst werden können. Auf diese Weise bilden sich bleibende Synapsen. Eltern sollen Eltern sein, LehrerInnen bei ihrem „Leisten“ bleiben. Eltern als Lerntrainer sind daher ein No-Go! Um diese Sichtweise tatsächlich zu verankern, muss sich Unterricht allerdings grundlegend ändern. Auch gilt es das ganze Schulsystem in Frage zu stellen, da es – trotz aller Reformen - immer noch auf dem Bild des „Nürnburger Trichters“ aufbaut. Das einzige was damit tatsächlich erreicht werden kann, ist eine nachhaltige Beschädigung der Lernfreude. Lernen und Unterricht werden synonym gesetzt, die Freude am Neuen, die Neugier am Dasein, die jedem Menschen in die Wiege gelegt wird, leidet. Man zieht sich auf Bewährtes und Bekanntes zurück und hofft, dass das reicht, das Leben zu bewältigen. Auf diesem Weg aber werden die Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft nicht bewältigt werden können. Wenn Schule aber einen wirklichen Beitrag zur Lösung aktueller und zukünftiger Probleme leisten will, dann hat sie die Notwendigkeit sich von Grund auf zu wandeln. Dafür sollten sich alle Beteiligten einsetzen, auch wenn das Problem zumindest aus Eltern- und SchülerInnensicht auf 9 bis 12 Jahre beschränkt ist. Schon seit geraumer Zeit wird der Ruf nach ganztägigen Bildungseinrichtungen immer lauter. Zum einen fehlen österreichweit gesehen jede Menge Kindergartenplätze für Kinder unter drei Jahren, die aber wichtig wären, damit die Heranwachsenden einen guten Start ins Schulleben hätten, zum anderen sagt man uns, dass SchülerInnen in Ganztagsschulen besser und effizienter lernen würden. Vor allem letzteres bestreiten sogar BildungswissenschafterInnen.
Die Hintergründe aber sind aus meiner Sicht andere, als die öffentlich kolportierten. In erster Linie geht es um die Notwendigkeit der Erwerbsarbeit, um existieren zu dürfen. Heute ist es wichtiger denn je, dass jeder erwachsene Mensch einer solchen nachgeht, weil es sonst – und gerade, wenn man Kinder hat – selbst mit dem Überleben schwierig wird, geschweige denn mit dem Leben. Daher müssen die Kinder dran glauben und zum einen ihre Eltern durch Abwesenheit von zuhause unterstützen sowie zum anderen um auf eben eine solche Form des Lebens vorbereitet zu werden. Michael Ende schildert eine solche Gesellschaft in seinem Märchenroman „Momo“, der schon in den Siebzigern des vergangenen Jahrhunderts die Misere prophetisch vorausahnte. Kinder werden, seiner Erzählung nach, in Kinderdepots untergebracht, um den Eltern beim Zeitsparen zu helfen. Bloß die Zeit, die hier durch Automation, Modernisierung und vor allem Beschleunigung allen Lebens eingespart wird, kommt nicht den Betroffenen zu Gute. Dahinter stecken die Grauen Herren, eine höchst institutionalisierte Gruppe von Männern, die die Stundenblumen der Menschen für ihr eigenes Leben brauchen. Sie verrauchen sie ganz einfach, um selbst existieren zu können. Noch nie wurde der Mythos, dass Zeit Geld ist, auf g’scheitere Weise enttarnt. Bei so vielen Entscheidungen, die zuletzt im Bildungsbereich getroffen wurden, steigen diese Bilder aus Momo in mir auf. Aus meiner Wahrnehmung geht es nämlich bei all dem gar nicht um die jungen Menschen, die noch dazu als Kinder versachlicht (das Kind) und als unfertig und damit höchst entwicklungsbedürftig eingestuft werden. Es geht vielmehr um den oben beschriebenen gesellschaftlichen Konsens, bestmöglich funktionieren zu lernen, den keiner mehr in Frage stellt. Dieser wird als alternativlos dargestellt und auch von den meisten so gesehen. Wer tatsächlich an die Bildung – und das bitte im Humboldtschen Sinn – glaubt, der wird sich dieser Sichtweise nicht anschließen können. Wer weiß, dass ein jeder Mensch von Geburt an wissbegierig, neugierig und bildungshungrig ist, um das zu erfahren, was er zum Leben braucht, muss laut aufschreien und andere Wege beschreiten. Elementare und indigene Kulturen bieten den Heranwachsenden die Fülle des jeweiligen Lebens von Anfang an. Die jungen Menschen lernen auf diese Weise genau das, was sie später können müssen, um zu leben. Dazu gibt es zwar MentorInnen außerhalb des eigenen Zuhauses, aber keine Institutionen wie Kindergarten oder Schule, die vorgeben, was wann zu wissen und zu können ist. Diese Haltung gilt in meiner Vision einer lebenslangen Bildung auch in unserer Kultur als Grundlage. Ich, der ich vor knapp zwei Jahren noch an die „bessere Schule“ glaubte, durfte mich vom Leben belehren lassen. Ich habe einen anderen Blick auf diese junge Menschen bekommen, ich habe erfasst, welches Potential in jeder und jedem von ihnen steckt und wie sie ganz individuell, interessensorientiert und Schritt für Schritt ihren eigenen Bildungsweg zu gehen in der Lage sind. Was sie wirklich brauchen, sind Menschen, die sie, wenn sie Fragen haben, dabei begleiten bzw. sie mit Wissenden und Erfahrenen vernetzen. Die so genannten Kulturtechniken (Schreiben, Lesen, Rechnen) werden auf diesem Weg implizit gelernt – und zwar in dem Umfang, in dem es für den Sich-Bildenden notwendig und sinnvoll ist. Nicht jedeR muss Differntialgleichungen lösen können, aber jedeR wird die Grundrechnungsarten beherrschen. Nicht jedeR muss eine Erörterung schreiben können, aber jedeR wird schriftlich und mündlich für seine Meinung einstehen können. Nicht jedeR muss Joyce’s Ulysses im Original lesen können, aber jedeR wird um die Wichtigkeit schriftlicher Informationen und um die Stärke und den Nutzen literarischer Texte wissen. Dazu braucht es die Erwachsenen, die ihren Nachwuchs ernst nehmen und erkennen, welcher Bildungsweg der sinnvollste und damit beste ist. Die Schule, wie wir sie heute kennen, mag für die eine oder den anderen nach wie vor die richtige Entscheidung sein. Es braucht aber auch die Ermöglichung anderer Bildungsweisen, fernab der derzeit vorgegebenen Bahnen. Die, die trotz derzeit anders lautender gesetzlicher Regelungen, den jungen Menschen schon heute diesen Weg ermöglichen – auch im Leben mit dem Widerstand der Gesellschaft und der staatlichen Institutionen – sind die PionierInnen der Bildungszukunft. Sie werden einst erinnert werden wie Olympe de Gouges, Mary Wollstonecraft oder Minna Canth für die Frauenrechte sowie Otto Lilienthal und die Gebrüder Wright fürs Fliegen. Sie seien hier explizit ermutigt, ihnen sei an dieser Stelle ausdrücklich gedankt! Dieser Tage wurde den SchülerInnen einer Klasse an einer Wiener AHS vom Klassenvorstand ein an die Eltern adressiertes Kuvert übermittelt. Darin befand sich der Werbefolder eines Nachhilfeinstituts. Dieser kam gerade rechtzeitig vor den ersten Schularbeiten. Anzunehmen ist, dass diese Werbebotschaft an der Schule flächendeckend verteilt wurde, anzunehmen ist weiters, dass dies nicht die einzige Wiener AHS war, in der das passierte.
Das Gymnasium und die Nachhilfe sind immer schon siamesische Zwillinge gewesen, das war zu meiner Zeit so, das war zu Zeiten, in denen meine Töchter diese Schulart besuchten so. Und das ist heute auch noch so. Was sich geändert hat, ist die wachsende Unbedingtheit von Nachhilfe für den Schulerfolg und dass sie daher auch schon so etwas wie state of the art geworden ist. All jene, die es in der Volksschule geschafft haben, die nötigen Noten zu bekommen, sind ohnehin schon lern-geeicht. In der Regel werden diese Leistungen dann erreicht, wenn der junge Mensch durch Eltern, Lernbegleiter oder auch Nachhilfe unterstützt wird. Das ganze intensiviert sich dann nochmals mit dem Wechsel an die AHS. Und spätestens hier stellt sich die Frage: Warum gelingt es der Institution Schule nicht, da sie doch junge Menschen so viele Stunden täglich unterrichtet (in der 4. Klasse Volksschule sind es in Summe immerhin 24, in der 1. Klasse AHS 30 Wochenstunden) und ihnen dann auch noch Hausübungen aufgibt (die auch noch mehr als 1 Stunde pro Nachmittag in Anspruch nehmen), den Lern- und damit Prüfungserfolg sicherzustellen? Warum also brauchen SchülerInnen Nachhilfe, die ihnen – wie im angeführten Beispiel – auch dringend und drängend ans Herz gelegt wird? Sowohl Hirnforscher als auch Lerntheoretiker wissen, dass dauerhaft nur behalten wird, was wirklich von Interesse ist. Was aber interessiert junge Menschen im AHS-Alter? Wenn man sie dazu befragt, dann wissen die wenigsten eine Antwort darauf, meist sprechen sie dann von Freizeitaktivitäten oder Musik. Diese scheinbare Interessenlosigkeit ist aber die Folge eines immer früher einsetzenden Curriculums, das vorgibt, was wann von Interesse zu sein hat bzw. was wann gelernt und gewusst werden muss. Auf diese Weise werden junge Menschen, die schulischen Erfolg haben wollen, vom ersten Schultag an schlicht und einfach bevormundet. Durch Bildungsrahmenpläne in der Elementarpädagogik wird das schulische System nun noch weiter vorverlegt, zumindest im letzten Kindergartenjahr beginnt der „Schulstress“. Ist es dann ein Wunder, dass sich das Gehirn in einem Selbstreinigungsprozess spätestens nach der Prüfung des gesamten Wissens – so es nicht das Interesse des Lernenden gefunden hat – entledigt und es schnellstmöglich vergisst? Ist es ein Wunder, dass das Gehirn der meisten Lernenden schon bei der Lehrstoffaufnahme streikt und sich gegen das Gemästet-Werden mit Sinnlosem, oft totem Wissen, das nichts mit dem eigenen Leben zu tun hat, wehrt? So lange diese Mechanismen mit Nachhilfe bekämpft werden, wird ein stetig wachsender Wirtschaftszweig gute Umsätze und noch bessere Gewinne erzielen. An der Lernleistung wird sich in der Regel allerdings kaum etwas ändern, möglicherweise aber am Charakter der auf diese Weise Vergewohltätigten. Bessere Menschen werden sie dadurch jedenfalls keine. Da gäbe es andere, wesentlichere Bereiche, für deren Erfahren und Erleben aufgrund des schulisch geprägten Lernens kein Platz im Leben der Heranwachsenden ist. Das ist eine weitere Katastrophe. Wie lange noch werden Eltern dabei zusehen und sogar in rauen Mengen Geld ausgeben, um diesen Missstand aufrecht zu erhalten? Wie lange noch werden Kindeswohl und Kinderrechte aus der Sicht von Erwachsenen definiert ohne auch nur einen Moment jene zu Wort kommen zu lassen, die davon betroffen sind? Ihr Nein dazu tun die Betroffenen in der Regel nicht verbal kund, sondern durch „Schulversagen“ oder Verhaltensauffälligkeiten. Aber auch dafür haben wir Namen und Therapien gefunden, um die jungen Menschen gefügig zu machen. Sie sollen ja funktionieren lernen, notfalls auch mit Hilfe von Medikamenten. Diese Haltung aber führt unsere Gesellschaft Schritt für Schritt in den Abgrund. Die Anfänge werden dieser Tage bereits immer öfter beklagt … Die Schule hat uns wieder. Und wie ...
Am Montagmorgen hat Radio Wien den rasenden Reporter Hadschi Bankhofer vor die eine und die andere Schule Wiens geschickt, um ein Stimmungsbild einzufangen. Eines der Gespräche war symptomatisch für all das, was die Institution "Schule" mit den Menschen macht, die einmal neugierig und wissensdurstig zur Welt gekommen sind. Nach einem kurzen Eingangsgeplänkel kam die Sprache auf Mathematik, die einer befragten Schülerin so gar nicht liegt. Der Reporter ergänzte dazu, dass auch er Mathematik gehasst habe und bis heute vor größeren mathematischen Aufgaben kapituliere. Dennoch wünschte er der Befragten einen guten Schulstart und schloss seinen Live-Einstieg in die Morgensendung des Senders mit den tröstlichen Worten, dass die nächsten Sommerferien bestimmt kämen. Frappierend für mich, dass sich alle, die von der Schule betroffen sind oder sich mit der Schule beschäftigen, diese oder ähnliche Wehklagen kommen, niemand aber willens ist, die Sache zu ändern. Schule scheint's ist gottgegeben oder ein Naturgesetz, die gegen jeglichen menschlichen Veränderungswillen immun ist. Sie ist es aber bloß insofern, als selbst die Änderungswilligen systemimmanent denken und für Reformmaßnahmen plädieren. Jede Reform aber hat die Tendenz, das Bestehende trotz allen guten Willens weiter zu manifestieren. In Systemen, die so alt und so überholt sind, nützt allerdings nur noch ein Neustart ohne die Altlasten des Vergangenen. Daher ist der österreichischen Bildungspolitik dringend anzuraten, sich ein Beispiel an dem zu nehmen, was Menschen ganz ohne LehrerInnen aus eigenem Antrieb und Interesse lernen. Das auf diese Weise durch eigene intrinsische Motivation Erworbene sitzt dann ein Leben lang. Dieser Art von "Lernvorgang" stehen ja auch nicht künstlich geschaffene Curricula und Lernmethoden im Weg. Das ist auch schon das ganze Geheimnis. So plädiere ich auch an diesem Schulanfang erneut für ein lebenslanges Recht auf Bildung - und nicht eine Verlängerung der Ausbildungspflicht bis 25, wie sie Kanzler Kern kürzlich vorgeschlagen hat - das von der öffentlichen Hand finanziert wird. Ich bin fest davon überzeugt, dass damit die ledivollen Gespräche zum Schulanfang und die Betroffenheit aller Beteiligten (ob LehrerInnen, Eltern, SchülerInnen oder zuständige BeamtInnen und PolitikerInnen) der Vergangenheit angehören und "Lernen" zu einem ganz normalen Teil des menschlichen Lebens wird, weil es nicht mehr an die Institution Schule und ihre Qualen gebunden ist. Zur Halbzeit der Sommerferien meldeten sich heute per Presseaussendung die Österreichische Liga für Kinder- und Jugendgesundheit und der Bundesverband Österreichischer PsychologInnen zu Wort. Die Aussendung spricht Bände. Systemimmanent gedacht sind die Ausführungen zumindest nachvollziehbar. Mit einem Blick von außen aber zeigt sich darin der ganze Wahnsinn der Beschulungsideologie.
Da sind zuerst die Ferien, eine elendslange schulfreie Zeit, in der offenbar nichts gelernt wird und man daher in deren Hälfte wieder mal an die Schule und das Lernen denken sollte. Lernen und Schule gehören aus dieser eingeschränkten Sicht untrennbar zusammen, was aber - wie Bertrand Stern sehr deutlich ausführt - eine unzulässige Kausalität darstellt. Dann geht es - laut Aussendung - vor allem in der Grundschule um den Erwerb der Kulturtechniken, der Wiederholung erfordert. Diese Notwendigkeit verstärkt sich bei lernschwachen Kindern. Schon innerhalb eines Monats gehen drei Viertel des Wissens verloren. Ja warum denn wohl? Weil der angebotene Stoff nichts mit der Lebens- und Erfahrungswelt der jungen Menschen zu tun hat. Jeder Mensch, der sich mit der Welt um sich herum befasst, wird Lesen, Schreiben, Rechnen und Sprechen interessant finden. Das zeigen uns die sogenannten "Vorschulkinder", die im Kindergarten noch jede Menge Spaß an diesen Dingen haben, spätestens zu Weihnachten in ihrem ersten Schuljahr aber das alles als Qual empfinden. Der Vorschlag des spielerischen Integrierens dieses Stoffes in die Ferienaktivitäten ist bemüht aber wirkungslos. Wer von den Eltern und den auf diese Weise beschulten jungen Menschen fühlt sich denn wirklich locker, wenn er plötzlich auf einer Autofahrt das 1x1 üben soll? Wer will denn wirklich wissen, wieviele Meter es noch bis zur nächsten Tanke ist? Schön, dass dann doch auch davon die Rede ist, dass genügend Zeit bleiben soll, um die Natur zu erkunden oder Zeit mit Familie und Freunden zu verbringen. Auch die Langeweile wird gelobt. Bei diesen Worten bin ich erstmals angetan. Aber: ein Zusammenhang zwischen diesen Erfahrungen und dem Lernen wird keiner gezogen. Warum? Weil sie außerhalb der Institution Schule stattfinden. Dabei zielt doch gerade der Begriff Schule, den diese unsägliche über-fürsorgliche Einrichtung okkupiert hat, auch auf das letztgenannte ab. Muße bedeutet aber nicht bloß Müßiggang sondern die Zeit, sich mit dem zu beschäftigen, was gerade interessant ist. Und das so intensiv und lange wie es für jeden sinnvoll ist. Kein Wunder also, dass die institutionelle Schule (auch) krank macht. Um das zu vermeiden, schlagen die in der Presseaussendung zitierten ExpertInnen abschließend denn auch vor, Lernsituationen dahingehend zu optimieren, dass diese in einer stressfreien Atmosphäre und "in einem Rhythmus von gezielten Lern- und Erholungsphasen" stattfinden. Schule möge nicht nur ein Ort der Wissensvermittlung sondern auch der sozialen Begegnung sein. Dies sind aus meiner Sicht Träumereien, die fern jeglicher Realität dieser Unterrichtsvollzugsanstalten sind. Viemehr wäre es hilfreich, wenn die NGOs, die solche Ausführungen in die Welt setzen, mal die Institution Schule in Frage stellen würden. Sie nämlich verhindert das Lernen und vor allem das Leben und erzeugt jene Menschen, denen dann mangelnde Lebenstüchtigkeit vorgewofen wird. Dieses Paradoxon weist deutlich auf eine kränkende Perversion des Systems hin, die dringend abgeschafft werden muss. Beispiele wie das geht gibt es mittlerweile schon jede Menge. |
Michael Karjalainen-Dräger
diplomierter Pädagoge und Bachelor of Education war 10 Jahre im öffentlichen Schulwesen in Wien als Lehrer tätig, danach 3 Jahre lang Leiter einer von ihm gegründeten "freien" Schule in Niederösterreich. Seit 2013 trainiert er Menschen, die jungen Menschen freie Bildungs-Räume öffnen wollen. Kategorien
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March 2020
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