ls gewichtiges Argument für die Schule und gegen jegliche individuelle Alternative, die nicht tagtäglich in der Gemeinschaft Gleichaltriger stattfindet, wird von den meisten Bildungsverantwortlichen, aber auch sehr vielen Eltern, das für die Gesellschaft so nötige soziale Lernen der Heranwachsenden genannt. So hat auch Sibylle Hamann, die Bildungssprecherin der Grünen, im ausführlichen Gespräch mit mir betont, wie wichtig es sein, auch mit Menschen, die man sonst nie getroffen hätte, in Kontakt bzw. mit ihnen klar zu kommen.
Beim genaueren Hinschauen verliert diese Argumentation aus meiner Sicht aber enorm an Gewicht. Schüler*innen werden in der Schule (mit Ausnahme der Mehrstufenklassen im Volksschulbereich) in Klassen mit Gleichaltrigen gesteckt, die Anzahl der auf diese Weise gemeinsam Unterrichteten beträgt im Schnitt 25. Die Kommunikation untereinander beschränkt sich auf das Fachliche oder gar nur auf die Pause. Für soziale Konflikte in einer so großen Gruppe gibt es maximal eine Klassenvorstandsstunde oder eine Stunde „Soziales Lernen“ in der Woche. Die vom System vorgegebene Notwendigkeit der Leistungsfeststellung und Leistungsbeurteilung, also von Prüfungen, Tests, Schularbeiten und Schulnoten, die jede*r einzeln zu absolvieren hat, stärken das Konkurrenzverhalten zu Lasten der Kooperation. Asoziales Lernen also statt Sozialem Lernen. Hier werden die Grundregeln der Gruppendynamik missachtet, es besteht durch die Altershomogenität, also Gleichaltrigkeit kaum eine Möglichkeit sich voneinander abzuheben, als durch bessere Noten. Die Schule hätte Möglichkeiten, hier neue Ansätze zu bieten, kleine altersheterogene Gruppen mit 8-12 Schüler*innen beispielsweise, Kooperationsmöglichkeiten statt Einzelleistungen, flexible Gestaltung des Schulalltages mit Phasen, die man nicht im Klassenzimmer verbringt. Und die VertreterInnen des Schulsystems sollten endlich dieses Argument aufgeben, wonach in der derzeitigen Form Schule ein Ort des sozialen Lernens ist. Beispiele von jungen Menschen, die im häuslichen Unterricht begleitet werden, zeigen, dass die keinerlei Probleme im Zusammensein mit anderen Menschen jeglichen Alters haben. Sie haben erfahren, was Achtsamkeit und Respekt ist, wie wichtig es ist, auf Bedürfnisse zu achten, die eigenen und die fremden und sind dadurch selbstverständlich in der Lage genauso diese Qualitäten auch in ihrem Leben sich selbst und den anderen gegenüber einzusetzen. Den Befürworter*innen des jetzigen Systems geht damit ein „Totschlagargument“ endgültig verloren. Besinnen wir uns lieber auf konstruktive Lösungen für eine gute Schule von morgen – und setzen wir endlich Maßnahmen, dass es neben der Schule auch legale individuelle Bildungswege geben darf.
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Die Kinderrechte werden heuer 30 Jahre alt – was hat sich dadurch aus Ihrer Sicht verändert bzw. verbessert?
De iure hat sich die Lage für junge Menschen verbessert, z.B. durch das Gewaltverbot, de facto gibt es tatsächlich noch Bereiche, in denen jungen Menschen Gewalt angetan wird, weniger physisch, aber mehr psychisch (etwa der schwer erkennbare emotionale Missbrauch oder Mobbing). Zudem ist die Partizipation von Kindern weiterhin nur sehr eingeschränkt möglich, da sie weiterhin als Objekte (der Erziehung) gesehen werden, denen erst gezeigt werden muss, wie Leben geht, und nicht als Subjekte, ganze, eigenständige Menschen. In Österreich wurden mit dem Bundesverfassungsgesetz 2011 nur acht Artikel über die Rechte von Kindern beschlossen – ist es aus ihrer Sicht wünschenswert, dass die gesamte Kinderrechtekonvention in die Verfassung aufgenommen wird? Absolut wünschenswert, ja sogar notwendig. Das ist ein weiterer Schritt in Richtung Bewusstseinsbildung. Wesentlich aber ist auch die konkrete Umsetzung der Konvention im Alltag des jungen Menschen. Und da hapert es noch immer gewaltig. In Österreich gelten Kinderrechte seit dem Jahr 1992, einige haben es auch in die österreichische Verfassung geschafft. Trotz vieler Fortschritte wissen viele Kinder und Jugendliche noch immer nicht über ihre eigenen Rechte Bescheid. Wie könnte man das Ihrer Meinung nach ändern? Hier sind die jungen Menschen auf die Unterstützung von Erwachsenen angewiesen. Die Bildungsinstitutionen schaffen das nur zu einem kleinen Teil, weil sie als SystemträgerInnen grundsätzlich kein Interesse daran haben dürfen, dass Kinder eigenständig sind. Information ist außerdem nur der geringste Teil im Hinblick auf das Ergreifen von Rechten. Vielmehr ist es von grundlegender Wichtigkeit, jungen Menschen den Raum und die Freiheit zu geben, diese Rechte auch in Anspruch zu nehmen und sie durchzusetzen. Dazu braucht es die Bereitschaft der Erwachsenen in Familie, Bildung und Politik, sich ernsthaft mit den Jungen auseinanderzusetzen. Es ist also ein gesamtgesellschaftlicher Paradigmenwechsel notwendig, der den Heranwachsenden Gleichwürdigkeit (Jesper Juul) zugesteht. Was wünschen Sie sich anlässlich des 30. Geburtstages der Kinderrechte für Kinder und Jugendliche in Österreich? Die Anerkennung der jungen Menschen als die wesentliche Kraft zur Erneuerung der Welt. Was wäre wenn erfahrene, weise Menschen und junge, fantasie- und kraftvolle Menschen gemeinsame Sache zur „Rettung“ der Welt unternähmen? Es gilt den Absichtserklärungen konkrete Taten folgen zu lassen, Basis ist der vorhin angesprochene Paradigmenwechsel und die Bereitschaft, junge Menschen als ganze Menschen anzuerkennen. Gibt es noch etwas wichtiges, dass Sie sagen wollen? Betonen möchte ich noch einmal die Wichtigkeit des Artikel 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 (!), der da lautet: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geist der Solidarität begegnen.“ Das gilt für alle Menschen von Geburt an! Wenn wir das endlich einmal begreifen, dann werden alle Zwangsmaßnahmen, die wir den Jungen und Jüngsten auferlegen endlich Geschichte sein und erst wirklicher Raum und wirkliche Freiheit für die Selbstentfaltung des Einzelnen möglich sein, die ein neues Bewusstsein schaffen für die Lösung der Herausforderungen in Gegenwart und Zukunft. Menschen, die sich ihrer Stärken und Schwächen bewusst sind (Selbst-Bewusstsein), sich auf Ihre Begabungen und Fähigkeiten verlassen können (Selbst-Vertrauen) und diese mit Freude und Engagement zum Nutzen der Gemeinschaft einbringen sind die Zukunft unserer Menschheits-Familie. Interview für den Bildungsblog der VHS Wien Im Jahr 1989 wurde die "Konvention über die Rechte des Kindes" von den Vereinten Nationen beschlossen. Am heutigen Tag der Kinderrechte, der alljährlich am 20.11. begangen wird, gibt es zahlreiche Feierstunden. Aber zum Feiern kann den Betroffenen nicht wirklich zu Mute sein. Kind zu sein ist oftmals auch heute noch eine Zumutung. Trotz aller Verbesserungen, die sich z.B. in einem Gewaltverbot in der Erziehung auch juristisch niedergeschlagen haben, gibt es auch im seligen Österreich noch jede Menge Verbesserungspotential.
Denn de facto gibt es tatsächlich noch Bereiche, in denen jungen Menschen Gewalt angetan wird, weniger physisch, aber mehr psychisch (etwa der schwer erkennbare emotionale Missbrauch oder Mobbing). Zudem ist die Partizipation von Kindern weiterhin nur sehr eingeschränkt möglich, da sie weiterhin als Objekte (der Erziehung) gesehen werden, denen erst gezeigt werden muss, wie Leben geht, und nicht als Subjekte, ganze, eigenständige Menschen. Um das zu ändern sind die jungen Menschen auf die Unterstützung von Erwachsenen angewiesen. Die Bildungsinstitutionen schaffen das nur zu einem kleinen Teil, weil sie als SystemträgerInnen grundsätzlich kein Interesse daran haben dürfen, dass Kinder eigenständig sind. Information ist außerdem nur der geringste Teil im Hinblick auf das Ergreifen von Rechten. Vielmehr ist es von grundlegender Wichtigkeit, jungen Menschen den Raum und die Freiheit zu geben, diese Rechte auch in Anspruch zu nehmen und sie durchzusetzen. Dazu braucht es die Bereitschaft der Erwachsenen in Familie, Bildung und Politik, sich ernsthaft mit den Jungen auseinanderzusetzen. Es ist also ein gesamtgesellschaftlicher Paradigmenwechsel notwendig, der den Heranwachsenden Gleichwürdigkeit (Jesper Juul) zugesteht. Betonen möchte ich noch einmal die Wichtigkeit des Artikel 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 (!), der da lautet: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geist der Solidarität begegnen.“ Das gilt für alle Menschen von Geburt an! Wenn wir das endlich einmal begreifen, dann werden alle Zwangsmaßnahmen, die wir den Jungen und Jüngsten auferlegen endlich Geschichte sein und erst wirklicher Raum und wirkliche Freiheit für die Selbstentfaltung des Einzelnen möglich sein, die ein neues Bewusstsein schaffen für die Lösung der Herausforderungen in Gegenwart und Zukunft. Menschen, die sich ihrer Stärken und Schwächen bewusst sind (Selbst-Bewusstsein), sich auf Ihre Begabungen und Fähigkeiten verlassen können (Selbst-Vertrauen) und diese mit Freude und Engagement zum Nutzen der Gemeinschaft einbringen sind die Zukunft unserer Menschheits-Familie. Ein erster Schritt könnte sein, Kinder aus ihrer Sächlichkeit, Objekthaftigkeit zu befreien, in dem wir sie zu Subjekten machen und sie fortan als junge Menschen ansprechen. Das Kind wird so zum jungen Mann oder zur jungen Frau und wir begegnen ihm zumindest schon einmal sprachlich auf Augenhöhe. Nun ist also die Schule, besser gesagt das Schulsystem, zweierlei: Es ist zu blöd für unsere Kinder und es ist der ewige Feind der talentierten SchülerInnen. Jürgen Kaube führt in seinem Buch von der blöden Schule auf vielen, vielen Seite aus, was die Schule alles versäumt und was sie eigentlich tun sollte, nämlich denken lehren; Andreas Salcher stößt in ein ähnlich Richtung vor, wenn er alle, die das System aufrecht erhalten als Feinde derer bezeichnet, für die Schule gemacht ist.
Was beide nicht ansprechen: Es muss noch mehr als Schule geben, wenn Mensch sich bilden will. Und es gibt tatsächlich mehr. Mit einem Manko allerdings: die Eltern werden zu Lehrenden. Zum einen steht dieser Weg nicht allen offen, weil Zeit, Wissen oder einfach die Lust dazu fehlt; zum anderen haben Eltern andere Aufgaben, als die schulische Bildung ihres Nachwuchses. Nun: Wie das Dilemma lösen? In dem Bildung radikal neu gedacht wird:
Aber: Wo bleiben da die Kulturtechniken lesen, schreiben, rechnen? Sie werden implizit gelernt, denn an ihnen führt kein Weg vorbei. Aber sie werden zu Werkzeugen, um die Welt zu entdecken und nicht zu den Hauptfiguren, die den Blick auf die Welt verstellen. Und das Soziale? Wie Erkenntnisse aus jenen Ländern, in denen ein Frei-Sich-Bilden schon möglich ist, zeigen, geht Menschsein gar nicht ohne soziale Kontakte. Und die eingeschränkte Sozialisation der Schule gegen die unbeschränkte Möglichkeit zu Kontakten mit der ganzen Welt zu tauschen, ist sicher kein Verlust. Alles in allem: Das Ende des einzigen derzeit legalen Bildungswegs namens Schule ist vorgezeichnet. Was es braucht sind Alternativen, ein reiches Betätigungsfeld für PionierInnen eines Bildungssystems der und mit Zukunft. Let‘s go! Krampfhaft versuchen derzeit PolitikerInnen und für das Bildungssystem Verantwortliche die gefährliche Eskalation an Wiener Schulen, wie bei jenem aktuellen Vorfall an einer HTL in der Stadt, der ja nur die Spitze eines stetig wachsenden Eisbergs ist, in den Griff zu bekommen. Bloß die Mittel sind die falschen. Die einen wollen den Eltern gewalttätiger SchülerInnen die Familienbeihilfe kürzen, die anderen setzen auf Teambuilding und Ausbildung der Unterrichtenden in Konfliktmanagement, wieder andere fordern mehr Mittel für Schulpsychologie und -sozialarbeit. Als ob es das alles nicht ohnehin schon zur Genüge gäbe.
Das Grundproblem aber wird weder erkannt noch bei der Erarbeitung von Lösungsansätzen entsprechend berücksichtigt. SchülerInnen weisen schon seit Jahren quasi mit dem ausgestreckten Zeigefinger auf die Thematik hin. Die einen erkranken physisch oder psychisch, ziehen sich zurück und verweigern auf diese Weise den weiteren Schulbesuch. Die anderen randalieren mit zunehmender Aggressivität direkt vor Ort und gefährden ihre MitschülerInnen und die Lehrenden. Sie alle sind aus meiner Sicht SymptomträgerInnen eines todkranken Schulsystems, manche von ihnen auch solche eines zum Sterben verurteilten Gesellschaftssystems. Noch dazu sind davon ja nicht nur SchülerInnen sondern auch LehrerInnen und Eltern zutiefst betroffen, siehe eine aktuelle Studie der der PH NÖ und der Uni Wien. Lösungsansätze lassen sich nicht auf derselben Bewusstseinsebene finden, auf der die Probleme entstanden sind („Problems cannot be solced at the same level of awareness that created them“, Einstein zugeschrieben) und das Schulsystem reproduziert seit vielen Generationen, ja seit seiner Entstehung nur diese eine Bewusstseinsebene. Wir sollten daher die SymptomträgerInnen nicht weiterhin bloß kriminalisieren, psychologisieren oder pathologisieren, sondern ihre Botschaft ernst nehmen. Und die lautet beim genauen Hinhören eindeutig: Keine solche Schule mehr. Wer sich mit Lerntheorie, Gehirnforschung, Entwicklungspsychologie und Erziehungswissenschaft beschäftigt, wird erkennen, dass Menschen lernbereite Wesen sind, die praktisch immer lernen. Diesen Prozess möchte ich als natürliches Lernen bezeichnen. Es ist immer selbstbestimmt und interessengeleitet und wurzelt mitten im Leben. Das schulische Lernen hingegen ist ein aufgesetztes Lernen quasi im Labor, das einem von außen gesteuerten Curriculum folgt. Einem Menschen, der so lernen muss, intrinsische Motivation abzuverlangen ist schlicht und einfach nicht möglich. Daher sollten die Bildungsverantwortlichen die SymptomträgerInnen des kranken Schul- bzw. Bildungssystems endlich ernst nehmen und den Menschen in den Mittelpunkt des Bildungsgeschehens stellen und ihm individuelle, selbstbestimmte und von der öffentlichen Hand finanzierte Bildungswege ermöglichen. Dazu braucht es auch Orte, die dem Begriff Schule (vom griech. scholae, Muße) gerecht werden. Ob sie dann noch Schule heißen können, wage ich zu bezweifeln. Ich spräche viel lieber von Bildungsräumen, wie es die Hauptbibliothek in Helsinki vorlebt. Dazu braucht es auch Menschen, die den Bildungshungrigen mit ihrer Fachkompetenz sowie mit Rat und Tat zur Verfügung stehen. Lehrer allerdings sollten sie nicht mehr genannt werden. Immerhin gibt es ein Gerücht, dass das Schulsystem im Bildungsministerium bereits als kindeswohlgefährdend angesehen wird, wenn auch nur hinter vorgehaltener Hand. Ein erster Schritt in die richtige Richtung, meine ich, auch wenn diese Aussage möglicherweise nur gut erfunden ist. Gerade eben begegnete ich einer jungen Dame, um die – geschätzt - 18 Monate alt, die mit Begeisterung vor ihrem Buggy und ihrer Mutter herlief, den linken Arm und den linken Zeigefinger ausgestreckt, immer wieder „Mama“ und etwas mir nicht Verständliches rufend. Die Mutter drängte von hinten mit dem Buggy und sagte in ruppigem Befehlston, ohne auf ihre Tochter näher einzugehen – „Geh‘ weiter!“. Die Kleine ließ sich aber nichts von ihrer Begeisterung nehmen und machte munter weiter. Wie die Sache ausging, weiß ich nicht, da ich rechts abbog und mich treppauf zum Bahnsteig, von dem mein Zug in Kürze abfahren sollte, begab.
Begeisterung – ein Schlüsselbegriff im Bildungsgeschehen, eine wesentliche Grundlage des Lernens, des natürlichen Lernens wohlgemerkt. Das, was die meisten Menschen unter Lernen verstehen, ist das schulische Lernen, eine unheilvolle Quälerei für alle Beteiligten, die zu manchem führt, nicht aber zu gebildeten, selbstverantwortlichen, klugen Menschen. Darum wird dem sogenannten lebenslangen Lernen wohl von den meisten auch mit so viel Skepsis begegnet ähnelt es doch gefühlt eher einer lebenslangen Haft, denn einer lebendigen Befreiung durch Bildung. Weder Eltern noch die Gesellschaft haben Lust auf begeisterte Gebildete, die noch dazu ihr eigenes Ding durchziehen. Und genauso werden dann die Jüngsten auch von Anfang an dressiert – siehe die zunehmende Verschulung der elementaren Bildungseinrichtungen wie Kindergruppen und Kindergärten - , um sie zu Normalen zu machen, die aber letzten Endes ver-rückt sind, weil sie ob des Zwanges zum Funktionieren ihre eigene Mitte verloren haben. Doch so bewältigt man Herausforderungen der Gegenwart und der Zukunft nicht, wie auch schon Albert Einstein wusste, dem der wundervolle Satz zugeschrieben wird, dass man Probleme nicht auf jener Bewusstseinsstufe zu lösen im Stande ist, auf der sie entstanden sind. Wie wohltuend ist es daher, auf den Gedanken von Menschen wie André Stern zu fliegen, der erlebt, erfahren und am eigenen Leib erkannt hat, dass es nur diesen Weg zum ganzen Menschen gibt: nämlich den eigenen Interessen zu folgen und der eigenen Entfaltung Raum zu geben. Junge Menschen wissen von Geburt an, wo’s lang geht. Es gilt ihnen zu folgen und da zu sein, wenn sie auf ihrem Weg Unterstützung brauchen. Das – und nichts anderes – ist die Aufgabe von Eltern und PädagogInnen. Und alle, die sich darauf als Erwachsene einlassen, werden reich belohnt. Try it – und du wirst niemals mehr zurück zu den ausgetretenen Pfaden der allgegenwärtigen Erziehung und Ausbildung zurückkehren wollen. Und da es nie zu spät ist, lässt sich ein solcher Weg auch als Erwachsener beschreiten. Auch hier gilt es, den Versuch zu wagen. Aus eigener Erfahrung (mit meinem Sohn und mir selbst) weiß ich, dass dies zu ganzheitlicher Bildung mit Herz und Hirn, also zum ganzen Menschsein, führt. Auf diese Weise bekommst du deinen Platz in der Gesellschaft, an dem du mit deinen Fähigkeiten am besten für die Gemeinschaft wirken kannst. Also: Unterstützen wir jene Menschen, die der Begeisterung Raum geben und auf diese Weise zum Gelingen unseres Gemeinwesens beitragen, anstatt sie mit noch rigideren Regeln und Normen zu unterdrücken. Denn nur auf diese Weise hat auch die Menschheit Zukunft. Das Herumgeeiere der für das Schulsystem in Österreich Verantwortlichen anlässlich des Schülerstreiks für das Klima im Rahmen der weltweit stattfindenden „Fridays for future“ hat es einmal mehr eindrucksvoll bewiesen: Freiheit und Rechte haben dort keinen Platz, akzeptiert wird nur das Krank-Sein (in gewissem Ausmaß) und das Funktionieren. Wenn du dein Recht auf Meinungsfreiheit bzw. auf Demonstration wahrnehmen willst, dann sind das keine Entschuldigungsgründe.
Sowohl Bildungsminister Faßmann, als auch dem Wiener Bildungsdirektor Heinrich Himmer wäre es viel lieber, wenn die „Streiks“ nicht während der Unterrichtszeit stattfänden, sondern am Nachmittag. Der niederösterreichische Bildungsdirektor Heuras sah sich deswegen sogar veranlasst, einen Erlass herauszugeben, der es den Schulen „verbietet“, SchülerInnen aus diesem Grund freizustellen. Obwohl ihnen allen doch bekannt sein sollte, dass SchülerInnen auch am Freitag Nachmittagsunterricht haben bzw. für die Schule lernen, denn sie haben keine 40-Stunden-Woche wie ein erwachsener Arbeitnehmer, sondern sind oft bis zu 60 Stunden oder mehr mit ihren Aufgaben ang’hängt. Nun gab es aber Klassenvorstände, die (dennoch) von ihrem Recht auf Genehmigung einer eintägigen Freistellung junger Menschen vom Unterricht Gebrauch machten, andere wagten sogar eine Klassenexkursion zur Demo. Das Gute ist also letzten Endes nicht zu stoppen. Nun ist das Schulsystem ja auch in anderen Fällen nicht zimperlich, es sieht beim mehrmaligen unentschuldigten Fernbleiben nicht wie noch vor einem Jahr Gespräche vor, sondern verlangt von den Schuldirektionen eine Anzeige bei der Bezirkshauptmannschaft bzw. dem Magistrat, die dann aufgrund der geänderten Gesetzeslage eine Verwaltungsstrafe zu verhängen haben. So sieht Demokratie in der Schule also heutzutage aus. Und auch in den Schulen kann man bei allen guten Bemühungen nicht von demokratischen Verhältnissen reden. Wenn junge Menschen zwar mitbestimmen dürfen, wohin der Wandertag geht oder wer wann im Ballkäfig (sic!) spielen darf, aber nicht von ihrer Meinungsfreiheit im Hinblick auf den Inhalt und die Gestaltung des Unterrichts Gebrauch machen dürfen, dann ist das nicht bloß un- sondern ganz einfach antidemokratisch. Nun ja, in meiner Vision sind die Klimastreiks der Anfang vom Ende des heutigen Schulsystems. Denn irgendwann wird die „Energie der Straße“ nicht bloß für das Klima mobilisieren, sondern für eine grundlegende Veränderung von Schule. Das ist aus meiner Sicht nur noch eine Frage der Zeit – und wird durch solche diskriminierenden und unterdrückenden Maßnahmen der Verantwortlichen nicht gestoppt sondern auch noch befördert. Mein Gastkommentar über den verqueren von einer pervertierten Schule geprägten Leistungsbegriff unserer Gesellschaft und seine Folgen im aktuellen Pippi-Magazin:
https://pippi-magazin.com/bin-ich-gut-genug/ „Die UN-Kinderrechtekonvention ist mit ihren Standards der passende Rahmen für eine anspruchsvolle Kinder- und Jugendpolitik: Sie rückt junge Menschen in den Mittelpunkt unserer Aufmerksamkeit. Ein Grundprinzip aller Menschen, die für und mit Kindern arbeiten und leben, soll es sein, Kinder und Jugendliche als kompetente und eigenständige Persönlichkeiten wahrzunehmen. Ihre optimale Versorgung mit Wohn- und Lebensraum, Bildung und Betreuung, gesunder Nahrung sowie der Schutz vor Gewalt und Ausbeutung sind weitere wesentliche Ziele der Konvention. Denn Schutz, Vorsorge und Partizipation sind Voraussetzungen für die bestmögliche Entwicklung, auf die alle Kinder einen Anspruch haben.“ (https://www.kinderrechte.gv.at/) Die größte Herausforderung im Umgang mit den jungen Menschen in unserer Gesellschaft ist das Respektieren und die Akzeptanz Ihrer Subjekthaftigkeit. Das fällt uns im deutschen Sprachraum wohl auch deshalb schwer, weil wir den Heranwachsenden mit dem Begriff „das Kind“ bezeichnen, und ihn damit nicht nur sprachlich zum Objekt, zur Sache machen. Genau dort haken auch die konventionelle Erziehung und eine Vielzahl von pädagogischen Ansätzen ein, die davon ausgehen, dass es sich beim jungen Menschen um ein unfertiges, also noch nicht ganzes Wesen handelt, das zum vollen, zum richtigen Leben geführt werden müsse. Das richtige, das volle Leben ist dabei immer jenes, das der Erwachsene vorgibt (und meist nicht einmal vorlebt), der diese zu Kindern gemachten Menschen erzieht.
Unter dieser Perspektive sind so Formulierungen wie „als kompetente und eigenständige Persönlichkeiten wahrzunehmen“, „ihre optimale Versorgung mit Bildung“ oder „Partizipation“ immer mit dem Vorbehalt belastet, dass es sich eben um Kinder handelt und diese nur altersadäquat, also eingeschränkt für sich selbst sprechen können. Ein ebensolcher Vorbehalt haftet den Kinderrechten an, weil sie als eben für Kinder, also für Objekte, heruntergebrochene Menschenrechte verstanden werden, was sie aber nicht sind. Die Kinderrechtskonvention geht vielmehr davon aus, dass junge Menschen auf Grund ihres Alters besonders zu (be-)achtende Menschen sind. Mit den speziellen Formulierungen der Konvention für diese Altersgruppe wird ihnen aber nie und nimmer der Subjektstatus abgesprochen und damit auch keineswegs Tür und Tor für „Vergewohltätigung“ (Zitat Bertrand Stern) geöffnet. Nein, ganz im Gegenteil. Die besondere Schutzbedürftigkeit des Menschen ist nicht im Abtausch zur Einschränkung seiner Rechte zu haben. Denn: Alle Menschen sind gleich an Rechten und Würde geboren, also auch die jungen und die jüngsten. In der Praxis bedeutet dies, dass in allen Maßnahmen, die in der Begleitung dieser Heranwachsenden von Erwachsenen gesetzt werden, deren Recht auf freie Meinungsäußerung UND Mitbestimmung geachtet werden muss. Ebenso ist es Aufgabe der öffentlichen Hand, dass ihnen eine optimale Versorgung mit Bildung garantiert wird. Diese „Versorgung“ ist aber nicht auf die „Schule“ zu beschränken, denn dann würde der Staat ja das Menschenrecht auf eigene Meinung und Mitbestimmung eklatant missachten und die jungen Menschen zu halben Menschen oder noch weniger degradieren. Wenn wir also die Kinderrechtskonvention in unserem Land tatsächlich voll umsetzen wollen, nicht nur am Papier, sondern in der Praxis, so sind den Heranwachsenden alle Möglichkeiten frei sich zu bilden zur Verfügung zu stellen – und das kostenfrei. Und die gehen weit über das Angebot, das Schulen bieten können, hinaus. Denn dann könnte man keineswegs nach einem von Erwachsenen kreierten Curriculum vorgehen, sondern müsste den Interessen und Bedürfnissen der jungen Menschen folgen. Wer die Entfaltung eines Heranwachsenden tatsächlich Aufmerksamkeit schenkt, wird erleben, dass es keine Institutionen braucht, um tatsächlich zu lernen, weil dieser Vorgang ein völlig natürlicher, jedem Menschen innewohnender Prozess ist, der nicht von außen angeleitet werden muss. In diesem Sinn kann Bildung auch nicht zur Pflicht erhoben werden, weil sie ein Recht des Menschen ist – und zwar von Anfang an, ein Leben lang. Und genau das garantieren nämlich Kinderrechts- und Menschenrechtskonvention. Vor rund zehn Tagen hat der Boulevard das Thema Gewalt in den Schulen ausgeschlachtet. ÖVP-Sicherheitssprecher Karl Mahrer, der ehemalige Landespolizeikommandant und Landespolizeivizepräsident, der seit der letzten Nationalratswahl als Parlamentarier arbeitet, hat eine diesbezügliche Anfrage an den Innenminister, der dem Koalitionspartner seiner Partei angehört, gerichtet.
Aus meiner Sicht hatte diese Anfrage genau jenen Sinn, den Boulevard zu instrumentalisieren, um die Menschen mit einem Bericht über die unhaltbaren Zustände in Österreichs Schulen zu erschrecken. Interessant erscheint mir auch der Lösungsansatz Mahrers, der zur Prävention verpflichtende Anti-Gewalt-Trainings – analog der Verkehrserziehung - durch die Polizei fordert. Dieser Ansatz ist leider zu kurz gegriffen, denn gewaltvoll werden hoher Wahtrschienlichkeit jene, denen Gewalt angetan wird. So hat der us-amerikanisch-österreichische Aggressionsforscher und Psychoanalytiker Friedrich Hacker festgestellt, dass Menschen, die um jeden Preis verhindern wollen, dass Kinder aggressiv werden, dies nur unter Anwendung von Gewalt tun können, was die Gewaltspirale erst recht in Gang setzt. Was ebenso nicht bedacht wird, ist, dass auch das Schulsystem in seiner Struktur gewaltvoll ist. Die deutsche Psychologin und Therapeutin Franziska Klinkigt hat dazu ein überzeugendes Buch mit dem Titel „Wer sein Kind liebt“ publiziert. Das Schulsystem in Deutschland bietet ja nicht die Möglichkeit der Anmeldung zum häuslichen Unterricht, die wir in Österreich kennen. Damit kann man sich zumindest unterm Jahr mehr oder weniger vom Schulsystem freistellen lassen, das einen aber mitunter bei der vor Schuljahresende notwendigen Externistenprüfung wieder einholt. In Deutschland herrscht sozusagen ganzjährig Schulanwesenheitszwang. In Österreich versuchen die Behörden, die mit einer wachsenden Rate an Homeschoolern konfrontiert sind, den Schulanwesenheitszwang zu erhöhen. In manchen Bundesländern werden von daher umfassende Formulare übermittelt, wenn man sein Kind zum häuslichen Unterricht abmelden will. Damit soll festgestellt werden, ob die Gleichwertigkeit des häuslichen mit dem schulischen Unterricht gegeben ist, im Zweifel werden die Eltern vom Landeschulrat zu einem klärenden Gespräch eingeladen. Zudem gibt es ab September dieses Jahres auch die verschärfte Bestrafung der Eltern von „SchulschwänzerInnen“, ohne die bisherige Möglichkeit, die Hintergründe zu klären. Wenn jemand mehr als 3 Tage unentschuldigt fehlt, werden dessen Eltern mit mindestens € 110,- bestraft. Die Schulen sind also aufgefordert, hier genaue Aufzeichnungen zu führen und im Fall anzuzeigen. Bislang galt ein Fünfstufenplan, der unter Mitwirkung aller verantwortlichen Stellen, inklusive Schulpsychologie und Jugendwohlfahrt eine Klärung der Gründe für das Fernbleiben vom Unterricht zu erheben versucht hat., was - zugegeben – meist auch nicht wirklich funktioniert hat. Diese neuen Regeln verschärfen den schon vorhandenen Druck zusätzlich und damit ebenso die ohnehin schon vorhandene Gewalt des Schulsystems. Dagegen werden auch Anti-Gewalt-Trainings an den Schulen kaum etwas ändern. Im besten Fall werden sie Menschen dazu bringen, der Gewalt, der sie ausgesetzt sind, anders und konstruktiver zu begegnen. Im schlechtesten Fall wirken sie womöglich sogar kontraproduktiv und steigern die Gewalt (siehe Friedrich Hacker). Wenn das Thema also ernsthaft gelöst werden soll, dann müssen auch die verantwortlichen PolitikerInnen über Mahrers Ansatz hinausdenken und sich auch dem systemimmanenten Terror der Schule stellen. Aus der Bildungspflicht sollte dann ein wirkliches Recht auf Bildung werden, das jedem Menschen den je eigenen Bildungsweg ermöglicht: in der Schule oder auf eine andere, individuelle Art und Weise. |
Michael Karjalainen-Dräger
diplomierter Pädagoge und Bachelor of Education war 10 Jahre im öffentlichen Schulwesen in Wien als Lehrer tätig, danach 3 Jahre lang Leiter einer von ihm gegründeten "freien" Schule in Niederösterreich. Seit 2013 trainiert er Menschen, die jungen Menschen freie Bildungs-Räume öffnen wollen. Kategorien
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March 2020
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